Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
schönen, intelligenten, geschlechtsreifen jungen Geschöpfen, die ihm während der Vorlesungen an den Lippen hingen. Wenn er sich seine nächste Geliebte aussuchte, lief ihm schon im Vorfeld das Wasser im Mund zusammen, als würde er eine handgefertigte Praline aus einer Schachtel wählen. Dann schloss er mit sich selbst Wetten darüber ab, wie lange er wohl brauchen würde, um sie zu verführen. Er hatte seine Methode über die Jahre perfektioniert. Ein bisschen Extraaufmerksamkeit. Ein paar bewundernde Kommentare. Eine zusätzliche Tutorenstunde, um etwas noch einmal zu besprechen. Ein Glas Wein. Ein bisschen den Nacken kraulen. Und schon waren sie Wachs in seinen Händen. Philip war ein attraktiver Mann, und er wusste, dass sein Fachwissen und seine Bildung auf diese lernhungrigen jungen Studentinnen wie ein Aphrodisiakum wirkte. Dass sie sich geschmeichelt fühlten, wenn er ihnen seine Aufmerksamkeit widmete. Nachdem er sie einmal rumgekriegt hatte, vergnügte er sich ungefähr ein halbes Jahr lang mit ihnen, ergötzte sich daran, wie ihre Augen sich weiteten, wenn er ihnen Dinge über ihren Körper beibrachte, von denen sie keine Ahnung hatten. Bis er dann genug von ihnen hatte.
»Meine Frau hat Verdacht geschöpft«, murmelte er dann, während er die weiche Innenseite eines Oberschenkels streichelte. »Und ich möchte keinen Skandal.«
Alle weinten sie bitterlich, akzeptierten ihr Schicksal aber, ohne zu murren. Es war ihm sogar gelungen, diese Affären geheim zu halten, denn er hatte ihnen allen das Versprechen abgenommen, wie ein Grab zu schweigen.
»So etwas ist mir noch nie passiert«, beteuerte er jeder Ein zelnen. »Du bist etwas ganz Besonderes für mich, und ich werde dich nie vergessen. Aber es kann unmöglich weitergehen.«
Seltsamerweise hatte er in letzter Zeit ein wenig nachgelassen. Es verlangte ihn nicht mehr so sehr danach. Er geriet nicht mehr sofort in Wallung, wenn die jungen Schulabgängerinnen zu einem Schnupperkurs in die Uni kamen. Und im letzten Semester hatte er zwei Studentinnen über ihn reden hören.
»Professor Milton? Gott, den würd ich nicht mal mit der Kneifzange anpacken«, hatte die eine gequiekt. »Der ist doch mindestens fünfzig!«
Was gar nicht stimmte. Er war noch lange nicht fünfzig. Außerdem hatte er immer gedacht, seine grauen Schläfen würden ihm etwas Distinguiertes verleihen.
Die Bemerkung der Studentin hatte sein Selbstbewusstsein ganz schön angeknackst. Der Gedanke, eine hinreißende junge Frau könnte ihn angewidert abblitzen lassen, war ihm unerträglich. Deswegen hatte er sich in diesem Jahr gar nicht erst auf Beutezug begeben. Stattdessen hatte er wieder angefangen, die Gesellschaft seiner Frau zu genießen. Ihm war aufgefallen, wie strahlend sie neuerdings aussah und dass sie aufblühte, anstatt zu welken. Sie war auf einmal voller Energie und Selbstbewusstsein. Das hatte ihm gefallen. Neben den Erstsemestern, die ihm jetzt unreif, naiv und kindlich vorkamen, wirkte Serena plötzlich weiblich und geheimnisvoll. Und jetzt wusste er auch, warum.
Plötzlich fühlte er sich zutiefst gedemütigt. Ihm brach der Schweiß aus, und wieder spürte er diesen Druck auf der Brust, der ihm fast den Atem raubte. Wie in aller Welt sollte er nach diesem Debakel der Familie gegenübertreten? Wie sollte er seinen Kindern in die Augen sehen? Und seine Mutter – was würde seine Mutter dazu sagen? Würde Serena ihr die Liste mit den Namen seiner Eroberungen unter die Nase reiben, um sich zu verteidigen? Und die große Party? Wenn alle Strandbewohner vor ihrer Hütte zusammenkamen, um das Ende der Saison zu feiern? Wie sollte er sich denen gegenüber verhalten?
Er ließ sich auf das Fußende des Betts sinken, in dem er bis jetzt mit Serena geschlafen hatte, und schlug die Hände vors Gesicht. Er wusste, dass er bekommen hatte, was er verdiente. Die Reue schmeckte so bitter, dass es ihm den Magen umdrehte, aber es war zu spät. Oder nicht? Gab es noch eine Möglichkeit, sie zurückzuerobern? Vielleicht, wenn er ihr eine Reise spendierte? Einen Diamanten? Wenn er sich entschuldigte?
Wahrscheinlich nicht. Er hatte Serena noch nie so gelassen, so entschieden erlebt. Er hatte seine Ehe in den Sand gesetzt mit seinem Egoismus, seiner Selbstgefälligkeit und seiner Arroganz, die ihn zu der Überzeugung verleitet hatte, er sei so etwas wie unsterblich.
Philip stand entschlossen auf. Es lag ihm nicht, Nabelschau zu halten und sich selbst zu geißeln. Er war ein Mann der
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