Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
Anfang an gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen.
Sie hatte ihre Kinder schnell hintereinander weg bekommen – Jack, Emma und Hannah –, und während ihres Mutterschaftsurlaubs hatte sie eine Eingebung gehabt, von der sie hoffte, dass sie ihr das Leben ermöglichen würde, das sie und David anstrebten. Chrissie war ehrgeizig, aber ihr war klar, dass ihre Mutterschaft und die Arbeit im Vertreterteam sich ausschlossen. Als Vertreterin war man endlose Stunden unterwegs, und abends saß man noch bis in die Nacht über dem ganzen Papierkram.
Während sie also abends mit ihren kleinen Kindern zu Hause hockte, sann sie über eine Lösung nach. Nach einer Weile entdeckte sie in der Lokalzeitung das Verkaufsangebot eines Waschsalons. Gleich am nächsten Morgen machte sie sich auf den Weg, die beiden Jüngsten in einem Doppelbuggy, Jack am Rockzipfel und einen Beutel schmutziger Wäsche unter dem Arm als Vorwand, um sich ein erstes Bild zu machen. Der Salon war heruntergekommen, die Hälfte der Maschinen funktionierte nicht, der ganze Laden war verdreckt und seelenlos. Aber er hatte Potenzial, erkannte sie sofort.
Chrissie ging zur Bank, nahm einen Teil ihrer Ersparnisse als Anzahlung und verhandelte über einen Kredit auf der Basis eines Geschäftsplans, den sie selbst erstellt hatte. Dann nahm sie Kontakt zum Eigentümer des Waschsalons auf und bot ihm einen lächerlich niedrigen Preis an, bar auf die Hand. Ihr Instinkt sagte ihr, dass er Geld brauchte, und sie hatte recht. Zwei Monate später hatte sie die Schlüssel.
Innerhalb kürzester Zeit brachte sie die Räume auf Vor dermann. Freundliche Farben, Blau und Weiß, neue Maschi nen, Hintergrundmusik, bequeme Stühle und ein Getränkeautomat. Bis zum Jahresende warf der Betrieb Gewinn ab, und sie suchte in den Zeitungen nach den passenden Räumlichkeiten für die nächste Filiale. Wenig später expandierte sie in die Textilreinigungsbranche – exklusiver, aber ebenfalls profitabel. Es war zwar harte Arbeit, aber sie war ihre eigene Chefin, und jeder Penny, den sie verdiente, wanderte in ihre eigene Tasche. Ganz im Stillen verdiente sich Chrissie so ein eigenes kleines Vermögen. Sie nahm jährlich doppelt so viel ein wie David. Nicht, dass sie ihm das jemals unter die Nase gerieben hätte. Sie kaufte einen SUV für die Familie, den Rest investierte sie in zwei weitere Läden. Sie redete nie über die Größenordnung ihres wirtschaftlichen Erfolgs, denn sie kannte die Miltons. In dieser Familie wurde über alles und jeden spekuliert, sie würden alles nur gegen sie verwenden und sie noch mehr ablehnen, weil es vielleicht nicht damenhaft genug war, Geld zu verdienen. Und sie wollte David nicht demütigen, den sie nach wie vor liebte; er war so liebenswürdig und charmant, immer verbindlich und ein toller Vater.
Sie waren nicht immer einer Meinung – manchmal stieß ihm das finanzielle Ungleichgewicht unangenehm auf, dann schrie er herum. Zum Glück dauerten ihre Streitereien nie lange. Im Grunde seines Herzens betete er Chrissie nämlich an und liebte sie für all das, was die Miltons an ihr verachteten, und dafür liebte sie ihn wiederum umso mehr.
Chrissie war sehr gespannt darauf gewesen, wie die Familie sie wohl behandeln würde, jetzt, wo Graham nicht mehr da war und Stimmung gegen sie machen konnte. Und nachdem allen endgültig klar geworden war, dass sie die Einzige war, die jederzeit Bargeld lockermachen konnte.
Chrissie grinste in ihr Sektglas, dann rief sie sich zur Räson. Es war nicht schön, sich am Unglück anderer zu weiden, aber sie wäre auch nicht so schadenfroh gewesen, wenn nicht die ganze Familie immer nur nach Grahams Pfeife getanzt hätte.
Nach dem Geburtstagspicknick gingen Chrissie und David ins »Ocean View«, die Pension, in die sie sich immer einquartierten, wenn die Hütte belegt war. Sie wollten sich ein bisschen ausruhen, bevor sie sich zum Abendessen umzogen. David war sichtlich erschüttert über die Ankündigung seiner Mutter.
»Es liegt ja wohl auf der Hand, was wir jetzt tun müssen«, sagte er zu Chrissie.
»Ach ja?«, fragte sie argwöhnisch.
David breitete die Hände aus, als wollte er andeuten, wie offensichtlich die Lösung war. »Wir werden das Geld aufbringen müssen, um die Hütte zu kaufen! Wir waren die Allerersten, die hier eine Strandhütte hatten. Sie muss in der Familie bleiben.«
»Und woher sollen wir das Geld nehmen?«, wollte Chrissie wissen. »Deine Mutter will mehr als hundertzwanzigtausend Pfund dafür.
Weitere Kostenlose Bücher