Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
jede Galanterie verschmäht – nicht, dass ihr in ihrer Welt viel Galanterie begegnet wäre –, aber David war anders. Natürlich hatte sie sofort registriert, dass er zur High Society gehörte. Man brauchte nur die Tweedanzüge zu sehen, die er und seine Begleiter trugen, wie lässig und selbstbewusst sie auftraten und wie kultiviert sie sich miteinander unterhielten. Die Leute in ihrer Box dagegen waren laut und großspurig, konnten sich nicht benehmen, warfen mit dem Geld nur so um sich und tranken den Veuve Clicquot aus der Flasche.
Gleich nach dem Rennen führte er sie zum Abendessen aus. Er hatte telefonisch einen Tisch im »The Vineyard« reserviert, einem Luxushotel etwas außerhalb von Newbury. Stil voll, diskret, an den Wänden nur echte Kunstwerke, großartiges Essen, erstklassiger Wein, aber sie hätten genauso gut im Burger King sitzen können, so wenig, wie sie ihrer Umgebung Beachtung schenkten. Sie hatten nur Augen füreinander. Es schien das Natürlichste der Welt zu sein, als er sich an der Rezeption erkundigte, ob noch ein Zimmer frei war.
Chrissie sah das Entsetzen in Graham Miltons Gesicht sofort, als David sie das erste Mal mit nach Hause brachte, um sie seinen Eltern vorzustellen. Trotzdem konnte der Alte wäh rend des gesamten Abendessens den Blick nicht von ihrem Dekolleté abwenden. Wie lange würdest du wohl durchhalten, wenn du ihn mir zwischen die Titten schieben dürftest, du Heuchler, fragte sie sich. Höchstens zwei Sekunden.
Als es Nachtisch gab, ließ sie absichtlich einen Klecks Pudding in ihren Ausschnitt fallen. Dann schaute sie ihrem zukünftigen Schwiegervater direkt in die Augen, wischte sich den Pudding betont langsam von der Haut und leckte anschließend lasziv den Finger ab. Sie hätte ihre sämtlichen Ersparnisse darauf gewettet, dass er unter der weißen Da masttischdecke einen gewaltigen Ständer hatte. Wegen eines alten Lustmolchs würde sie keine Minderwertigkeitskomplexe ent wickeln!
Klar, sie war aufgedonnert, ihr hellblondes Haar war gefärbt, ihre Kleider waren eng, ihre Röcke kurz, die Absätze hoch, und sie stellte gern ihre Brüste zur Schau. Sie trank zu viel, sie war laut und rechthaberisch, fluchte und rauchte. Aber sie wusste zu leben. Sie kannte den Unterschied zwischen richtig und falsch. Und sie hatte Erfolg in ihrem Beruf. Mehr als David, auch wenn sie das nie laut aussprechen würde.
David war ein Duckmäuser. Er arbeitete für einen Freund seines Vaters, war Lohnschreiber, hatte in seinem Job schon alles erreicht und schien damit zufrieden zu sein. Chrissie dagegen wollte die Sterne vom Himmel holen, aber sie würde sich niemals selbst verleugnen, um sie zu bekommen.
Sosehr die Miltons sie auch spüren ließen, dass sie nicht willkommen war – wahrscheinlich damit sie die Finger von ihrem Sohn ließ und sich ein anderes Opfer suchte –, Chrissie war nicht einzuschüchtern. Und als David ihr einen Heiratsantrag machte und sie das Datum des großen Tages festlegten, organisierte sie das Fest ganz nach ihrem Geschmack, ob es den hochnäsigen Miltons passte oder nicht. Sie scheu te keine Mühe, die Hochzeit möglichst anders zu gestalten, als sie es gewollt hätten; Prestigekonsum der geschmacklosesten Sorte, angefangen bei Unmengen Heliumballons an der Decke über einen DJ , der gleich als Erstes den alten Prolo-Sommerhit »Macarena« auflegte, bis hin zu ganzen sechs Brautjungfern in Goldsatin und einer Stretch-Limo. Natürlich hätte sich Chrissie auch für ein Landhotel, pochierten Lachs und eine ältere Trauzeugin in einem ge schmackvollen Kleid entscheiden können, aber dann hätten sich ihre Verwandten unwohl in ihrer Haut gefühlt, und sie hätte ver dammt sein wollen, wenn sie es dazu hätte kommen lassen.
Von diesem Tag an herrschte ein unausgesprochener Krieg zwischen ihr und den Schwieger-Miltons, wie sie sie nannte. Von David war nicht zu erwarten, dass er seine Frau verteidigte, zumindest nicht offen. Er wollte ein einfaches Leben, nicht zu viel Verantwortung und sicher keine Auseinandersetzungen. Er hatte kein Rückgrat, wie Chrissie schon bald klar wurde, besaß nicht die Kraft zu eigenen Überzeugungen. Chrissie wollte es auch gut haben, aber sie wusste, dass einem das nicht einfach in den Schoß fiel, wenn man nicht zu den Miltons dieser Welt gehörte. Ihr Vater hatte damals nicht einfach einen Gefallen von einem Freund einfordern können, als sie die Schule versiebt hatte und nicht auf die Uni gehen konnte. Sie hatte von
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