Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
dennoch vornüber und atmete tief durch. Scheißkerl.
Sie hatte echtes Mitgefühl für Adrian empfunden! Und er hatte sie zum Narren gehalten. Ohne Weiteres hatte Chrissie ihm seine wehleidige Geschichte abgekauft und ihm seine Entschlossenheit geglaubt. Sie fragte sich, wer sich diesen raffinierten Plan ausgedacht hatte. Ob es Serena gewesen war, die auf die Spike-Karte gesetzt hatte. Alle wussten ja, dass sie den kleinen Jungen ins Herz geschlossen hatte. Wer mochte ihn nicht? Er war wirklich ein liebes kleines Kerlchen. Seit wann mochten die beiden schon eine Affäre haben? Und was planten sie auf lange Sicht? Wollte Serena Philip etwa verlassen?
Verdammt, dachte sie. Die Milton-Brüder waren genau wie ihr Vater. Sie versuchte, die unangenehme Erinnerung wegzuschieben. Nach Möglichkeit vermied sie es, an diese alte Geschichte zu denken, aber in ihrem Hinterkopf spukte sie dennoch ständig herum.
Graham Milton, wie er eines Abends in der Strandhütte über sie hergefallen war, während alle anderen zum Sternegucken nach draußen gegangen waren. Seine Whiskyfahne, seine Hände auf ihren Brüsten, sein dummes Gerede, nie mand werde davon erfahren, es sei in Ordnung, und sie brau che kein schlechtes Gewissen zu haben … Sie hatte es nie jemandem erzählt, auch nicht Jane oder David. Chrissie wusste genau, dass sie allein als die Schuldige dastehen würde, wenn sie den Mund aufmachte; dann würde es sofort heißen, sie sei im Bikini vor Graham herumstolziert und hätte ihn scharfgemacht.
Wie der Vater so die Söhne! Nur David nicht, hoffte sie inständig. Er hatte seine Fehler, aber sie hatte ihn nie der Untreue verdächtigt. Chrissie war nicht naiv, aber er schien ihr irgendwie nicht der Typ dafür. Außerdem würde er im Bett keine Bessere finden, dessen war sie sich sicher.
Aber jetzt war sie doch ziemlich erschüttert. Ihr Urteilsvermögen hatte sie im Stich gelassen. Chrissie war immer stolz auf ihre Menschenkenntnis gewesen, aber bei Adrian und Serena hatte sie sich gründlich geirrt. Außerdem fühlte sie sich verraten. Offenbar hatten die beiden das alles kaltblütig geplant.
Chrissie würde sich von niemandem ausnutzen lassen! In Zukunft würde sie sich von niemandem mehr beschwatzen lassen, diese alte, schäbige Hütte zu kaufen. Und falls doch, würde sie sie für Jack, Emma und Hannah erwerben, und der Rest der Miltons konnte bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf eine Einladung warten.
Chrissie zog ihren Lippenstift nach und schüttelte ihr Haar ein wenig. Sie zupfte ihr Kleid zurecht, sodass ihr Ausschnitt noch ein bisschen tiefer war. Dann lächelte sie mit funkelnden Augen, verließ die Toilette und steuerte direkt auf die Tanzfläche und in die Arme ihres Mannes.
»Wenn du mich auch nur einmal hintergehst«, flüsterte sie ihm ins Ohr, »wenn du mich jemals betrügst oder verarschst, mach ich dich fertig!«
Er sah sie verblüfft an, dann musste er lachen. »Du warst wohl mit Adrian kiffen«, sagte er. »Du bist ja völlig paranoid.«
Er schlang die Arme um sie und zog sie eng an sich. Die Musik hüllte sie ein, sie legte den Kopf an seine Schulter und fragte sich, ob sie ihm vertrauen konnte oder ob das skrupellose Milton-Gen auch in ihm steckte.
Auf der anderen Seite der Tanzfläche entdeckte sie Adrian und Serena, die gerade zur Tür hinausschlüpften. Vom Tresen aus sah Philip träge zu ihr hinüber, die Augen zu Schlitzen verengt.
Sie erschauderte. Je eher die Hütte verkauft wurde, desto besser.
5
Sandburgen
Janet schaute ihrem Sohn voller Stolz dabei zu, wie er den Grundriss für seine Sandburg markierte. Die genauen Maße hatte er sich auf einem Blatt Papier notiert. Alle Werkzeuge, die er brauchte, lagen neben ihm bereit. Für den Probelauf blieben ihm noch ein paar Stunden, bis die Flut kam. Und drei weitere Tage, um alles noch einmal auszuprobieren. Dann würde der Wettbewerb beginnen.
Ihr Herz zog sich stets zusammen, wenn sie daran dachte. Der Wettbewerb war für Alan das wichtigste Ereignis des ganzen Jahres. Er bereitete sich monatelang darauf vor, expe rimentierte zuerst mit verschiedenen Konstruktionen und begann dann zu üben. Wenn es einer verdient hatte, den Sieg davonzutragen, so war es Alan. Und in den letzten drei Jahren hatte er ja auch gewonnen. Sein glückliches Gesicht, wenn er sich den Pokal an die Brust drückte, war die ganze Mühe wert. Aber jedes Jahr fürchtete Janet von Neuem, dass er diesmal verlieren könnte. Kaum trafen sie in Everdene ein, quälte sie
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