Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
gar nicht richtig bei der Sache waren, zwei Turteltauben, die herumalberten und kicherten und sich gegenseitig Sand in den Nacken rieseln ließen. Einmal sprang das Mädchen kreischend auf, lief ein paar Schritte rückwärts und wäre um ein Haar in Alans Burg gestürzt. Janet ballte die Fäuste, doch dann merkte das Mädchen, was passiert war, und entschuldigte sich höflich bei Alan, und Janet entspannte sich wieder.
Sie konnte jetzt nichts mehr für ihn tun. Alles lag in den Händen der Götter. Sie musste nur dafür sorgen, dass Alan genug Flüssigkeit zu sich nahm und sich immer wieder mit Sonnenmilch einrieb. Zwei Jahre zuvor hatte sie die Mittagssonne unterschätzt, und er hatte einen fürchterlichen Sonnenbrand davongetragen. Und sie würde ihm regelmäßig etwas zu essen bringen. Sie hatte schon einen ganzen Stapel Brote geschmiert, der zusammen mit frischem Obst in der Hütte bereitlag. Und am Nachmittag würde sie ihm ein Eis am Stiel spendieren.
Am Strand herrschte richtige Partystimmung. Das Turnier war mit der Zeit so beliebt geworden, dass der lokale Radiosender einen DJ schickte, der die Stimmung anheizte. Die Musik dröhnte über den Strand, Möwen kreisten kreischend über den Köpfen, immer auf der Suche nach Essensresten. Die Leute vom Fernsehen gingen von Baustelle zu Baustelle und interviewten die Künstler. Als sie bei Alan stehen blieben, kam Janet aus der Hütte geschossen, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Es war doch besser, wenn sie für Alan sprach.
»Mein Sohn war schon als Kind künstlerisch begabt«, verkündete sie aller Welt. »Und der Sandburgen-Wettbewerb ist für ihn der absolute Höhepunkt des Jahres.«
»Er hat doch in den letzten drei Jahren den Pokal gewonnen, nicht wahr?«
»Ja und wir sind auch heute sehr zuversichtlich«, sagte Janet lächelnd. »An diesem Projekt arbeitet er schon seit Monaten. Jedes Detail ist historisch korrekt.«
»Ein echtes Kunstwerk«, bemerkte der Interviewer.
Das Werk eines Genies, dachte Janet, aber es stand ihr nicht zu, einen solchen Gedanken laut auszusprechen. Es versetzte sie immer wieder in Erstaunen, wie es Alan gelang, aus Millionen Sandkörnern etwas so Wunderbares zu erschaffen. Seine Hände formten den Sand, klopften und streichelten ihn, bis er die gewünschte Gestalt annahm. Seine Helfer wichen nicht von seiner Seite, verfolgten fasziniert seine Arbeit und wiesen ihn auf Stellen hin, denen in ihren Augen noch der letzte Schliff fehlte. Nach und nach entstand das Neptunschloss in all seiner Pracht, der Meeresgott persönlich wachte mit erhobenem Dreizack über seinem Domizil.
Die beiden Jugendlichen neben Alan machten gerade Pause, wischten sich den Schweiß von der Stirn und gönnten sich ein kühles Bier. Das Mädchen trug ein Bikiniober teil und kurze, abgeschnittene Jeans, ihre langen, kupferroten Locken hatte sie locker hochgesteckt. Einen Augenblick lang hatte Janet ein anderes junges Mädchen vor Augen, eine andere unbekümmerte Sechzehnjährige voller Hoffnungen und Träume. Sie schüttelte die Erinnerung ab. Sie wollte mit niemandem tauschen, sagte sie sich, wenn sie noch einmal jung wäre, würde sie alles wieder genauso machen. Es gab nichts zu bereuen.
Entschlossen ging Janet zum nächsten Eiswagen und kaufte ein Magnum für Alan. Das weiße hatte er am liebsten. Er belohnte sie mit einem Lächeln, aber er hatte kaum Zeit, sein Eis zu essen. Wenn er mit der Arbeit an einem Kunstwerk beschäftigt war, konnte ihn nichts ablenken.
Die Nachmittagssonne brannte erbarmungslos. Leicht bekleidete junge Mädchen gingen herum und verteilten Wasserflaschen. Aus den Lautsprechern wummerten die neuesten Hits, und der DJ steigerte sich, je näher der Moment der Preisverleihung rückte, immer mehr in Ekstase hinein. Der diesjährige Preisrichter war irgendein Lokalmatador – der Sänger einer Boygroup mit gegeltem Haar und verspiegelter Sonnenbrille, der den ganzen Nachmittag Autogramme gegeben hatte, vornehmlich auf den Unterarmen verzückt kreischender Teenager. Janet sah, wie er die Sandburgen eine nach der anderen begutachtete, und fragte sich, nach welchen Kriterien er die Kunstwerke wohl beurteilte. Hatte der Typ überhaupt eine Ahnung von dem künstlerischen Niveau und dem handwerklichen Können, das hier gefordert war? In seiner Begleitung waren die Organisatoren des Turniers – ein paar hohe Tiere aus dem Gemeinderat, vermutete sie – und einem Vertreter der Baugesellschaft, die den Wettbewerb sponserte. Und
Weitere Kostenlose Bücher