Für immer, Dein Dad
Außerdem hatte er sich ein Ziegenbärtchen wachsen lassen. Er sah richtig cool aus. Kürzlich war er angeblich mit einer umwerfenden Blondine gesehen worden. Nicht, dass mich das interessierte.
«Jetzt versetzt sie mich schon zum zweiten Mal für Antoine!», sagte ich genervt, während ich ins Wohnzimmer ging.
«Was ist denn das für ein komischer Name?», fragte er und bot mir eine Zigarette an.
«Nein danke. Ich rauche nicht.»
«Dann rauche ich auch nicht», sagte er und warf die Schachtel auf den Tisch.
«Sie hat gesagt, sie wäre um sechs Uhr wieder zu Hause!», maulte ich weiter.
«Jeder weiß doch, wie unzuverlässig meine Schwester ist. Keine Ahnung, warum du dich noch so viel mit ihr abgibst.»
Weil mein Dad gesagt hat, man soll sich um seine Freunde kümmern, wäre es mir fast herausgerutscht.
Corey verschwand in der Küche.
«Wo sind denn alle?», rief ich ihm hinterher.
«Mum und Dad sind im Kino», sagte er, während er mit zwei Dosen Bier wieder auftauchte. Ich ließ mich auf meinen angestammten Sofaplatz vor dem Fernseher fallen. Er warf mir eine der Dosen zu, aber ich war zu langsam, und sie plumpste neben mich.
«Immer noch nicht gelernt, was festzuhalten? Das ist sehr schlecht, Lolli.» Er schüttelte mahnend den Kopf. Ich schnitt eine Grimasse.
«Und, wie geht’s so?»
«Ganz gut.»
«Bist du immer noch mit diesem Schwachkopf zusammen?»
«Meinst du Mickey? Das ist doch schon seit Jahrtausenden vorbei.»
«Kein Neuer in Sicht?»
Ich antwortete nicht und nippte an meinem Bier, das absolut scheußlich schmeckte (was ich vor Corey natürlich nie im Leben zugeben würde). «Und was macht die Kunstakademie?»
«Die Kurse gefallen mir super», fing er an und lächelte, sodass man seine Grübchen sah. Während er weitersprach, hoffte ich, dass er seine Frage an mich vergessen hätte. Er ging auf die Kunstakademie und lernte … Kunst, während ich mich in der Oberstufe für die Leistungskurse Englisch und Informatik entschieden hatte. Er hatte eine Menge Freunde, die alle etwas mit Kunst machten. Ich dagegen hatte nur eine einzige Freundin, und das war Carla. Je länger wir uns unterhielten, desto klarer wurde mir, dass wir kaum etwas gemeinsam hatten (von Carla mal abgesehen), und das machte mich ein bisschen melancholisch.
«Musik», sagte er plötzlich mit einem Lächeln.
«Was ist damit?»
«Findest du LL Cool J immer noch so toll?»
«Na ja …»
«Weißt du noch, wie ich dir damals diese Kassette geschenkt habe?»
«Ich weiß gar nicht mehr, wo die jetzt ist. Das ist Ewigkeiten her.»
«Ich habe immer an dich denken müssen, wenn ich den zweiten Song gehört habe. Es war sowieso mein Lieblingsalbum.»
«Hab ich alles vergessen», sagte ich hastig.
«Den zweiten Song?»
«Ja. Na ja, die Kassette ist vermutlich irgendwo in Mums Wohnzimmerkommode.» Ich trank schnell noch mehr Bier, es prickelte auf der Zunge, und mir wurde leicht schwindelig. Dann nahm ich den nächsten Schluck, und plötzlich kam es mir so vor, als würde mir der Inhalt der Dose gleich wieder hochkommen.
«Alles in Ordnung?»
«Hrm, mmmh!» Ich versuchte mich zu räuspern, um den Hals freizubekommen, doch stattdessen musste ich husten. Daraus wurde ein richtiger Hustenanfall. Corey musste mich für ein Baby halten, das noch kein Bier vertrug. Aber er stand auf, ging um mich herum und klopfte mir auf den Rücken. «Einfach weiterhusten, ja?», sagte er.
So schnell, wie es aufgetaucht war, verschwand das Kratzen in meinem Hals wieder. Während ich versuchte, möglichst stilvoll vom Keuchen zu normaler Atmung überzugehen, blieb Corey hinter mir stehen.
«Es geht schon, wirklich.»
«Weiß ich, Lolli», sagte er und knetete verspannte Schultern. Meine verspannten Schultern. Ich erstarrte augenblicklich, so intensiv spürte ich seine Hände. Einerseits wollte ichmich nicht bewegen, und andererseits wollte ich um das Sofa herumlaufen und … ihn küssen. Das einzige Geräusch war sein Atem, meinen eigenen hielt ich vor lauter Schreck an. Was soll ich machen? Was soll ich machen? Was soll ich machen, Dad?
«Dreh dich mal um …» Coreys Stimme hörte sich anders an. Heiser. Eindringlich. Ich stand auf und stellte mich vor ihn, und dann passierte es einfach. «Es» war, dass sich meine Lippen auf seine legten. Gleich darauf spürte ich seine nach Bier schmeckende Zunge im Mund und wünschte mir, ich hätte mir an diesem Morgen die Zähne länger geputzt. Außerdem wünschte ich mir eine
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