Für immer, Dein Dad
einer etwa zwanzigköpfigen Gruppe versammelt,und ich musste meinen Namen und mein Lieblingstier sagen und warum ich ins Sommercamp gekommen war. Einige der anderen (besonders die Amerikaner) antworteten so ausführlich, so gefühlsbetont, dass ich vor Peinlichkeit am liebsten im Boden versunken wäre. Als dann noch das Klischee von «endlich meine Flügel ausbreiten und fliegen» kam, wäre ich am liebsten gestorben. Aber noch schlimmer war unsere Begegnung mit den Kids. Neunundneunzig Prozent waren verwöhnte Bälger, deren Eltern sie ins Sommercamp abgeschoben hatten, um endlich mal ein bisschen Ruhe vor ihnen zu haben – und ich bekam bald ausreichend Gelegenheit festzustellen, dass es dafür sehr überzeugende Gründe gab. Die ständigen Zankereien und Wutanfälle, mit denen sich die «Betreuer» herumschlagen mussten, waren kaum zu überbieten. Zum Glück hatte ich meine Aufgabe im Büro und wenig mit diesem Chaos zu tun. Ich machte Telefondienst, bestellte Lebensmittel und führte Buchhaltungslisten.
Von den zwanzig Betreuern im Camp begeisterten mich nicht viele. Ich freundete mich nur mit Greg aus Bolton und Erin aus Seattle näher an.
Zwei Wochen, nachdem ich angekommen war, hatten Greg und ich Spüldienst.
«Hast du dir nicht mehr von all dem hier versprochen?», fragte er mich in seinem näselnden Nordstaatenakzent, an den ich mich schnell gewöhnt hatte.
Die Frage verblüffte mich ein bisschen. Ich schrubbte einen Topf, während ich mir eine Antwort überlegte. «Eigentlich schon. Zum Beispiel habe ich nicht mit diesem ständigen Putzdienst gerechnet! Aber es ist schon in Ordnung!» In Wirklichkeit fühlte ich mich so gut wie noch nie. Es gefiel mir, Dads Rat gefolgt zu sein und Dinge zu tun, von denenviele andere Leute in meinem Alter nur träumten – Töpfe schrubben mal ausgenommen. Aber hey, schließlich war es ein amerikanischer Topf. Außerdem, und es fiel mir schwer, das vor mir selbst zuzugeben, hatte mir Carlas Abwesenheit genügend Raum gegeben, um mir Gedanken über meine eigene Zukunft zu machen. Ich hatte im Camp von acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags im Büro zu tun und musste an den Abenden manchmal die anderen Betreuer unterstützen; das konnte bedeuten, sich den Kopf über die Regeln eines Softball-Matchs zu zerbrechen, aber auch, mit den Kids über dem Lagerfeuer Marshmallows zu rösten.
«Du bist ja lustig», sagte Greg und trocknete den letzten Topf ab, was eigentlich meine Aufgabe gewesen wäre. Er hing immer öfter in meiner Nähe herum, und mir gefiel es, von ihm über meine Gefühle ausgefragt zu werden. Aber er interessierte sich auch für politische Fragen, und wir führten beispielsweise eine Diskussion darüber, ob die staatliche Lotterie Neid und Habgier in der Gesellschaft förderte. Ich hielt ihn für das, was Carla «nachdenklich» nennen würde. Er sah nicht besonders gut aus, aber das störte mich nicht, denn sein Lächeln war aufrichtig und herzlich. Ein bisschen wie Coreys Lächeln, bloß ohne die Grübchen.
«Lois …»
«Ja?», gab ich zurück, während ich vor dem Schrank hockte, um den Topf einzuräumen.
«Ich …», fing er an, doch dann unterbrach er sich, weil Erin hereinkam.
«Hey, jetzt macht aber mal Dampf, ihr zwei! In fünf Minuten lese ich den Kids eine Geschichte vor», sagte sie. Erin schien nur aus blendend weißen Zähnen und einer blonden Mähne zu bestehen. Vermutlich hatte sie schon ein Dutzend Schönheitswettbewerbe gewonnen.
«Müssen wir uns schon wieder eine von deinen bluttriefenden Horrorstorys anhören?», rief ich mit gespieltem Entsetzen.
«Nein, dieses Mal ist es eine Liebesgeschichte», sagte sie und zwinkerte mir übermütig zu. «Bis gleich dann!»
Bevor ich begriffen hatte, was Erin mit ihrem Zwinkern sagen wollte, war sie schon wieder draußen.
«Ich mag dich, Lois», sagte Greg.
«Ich mag dich auch.» Ich faltete das
riesige
Geschirrtuch auf dem Rand der
riesigen
Spüle. In Amerika war alles
riesig
.
«Du bist so anders als die anderen», sagte er.
«Und du auch. Diese ganze Reise ist so anders als mein bisheriges Leben!», rief ich begeistert und beschrieb einen allumfassenden Bogen mit meinen Armen. Ich fühlte mich plötzlich so frei, war so glücklich, in einer enormen amerikanischen Küche zu stehen und das Geschirr für Leute zu spülen, die ich kaum kannte. Dies war der einzige Ort auf der Welt, an dem ich in diesem Augenblick sein wollte. Greg trat einen Schritt auf mich zu und legte mir seine
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