Für immer, Dein Dad
glücklich gesehen. «Nein, Liebling, alles, was ich brauche, ist hier in diesem Zimmer.» Sie lächelte Bingo-Mann an, der ihr daraufhin einen Kuss auf das verschwitzte Haar drückte.
«Bis dann», rief ich zum Abschied, doch es kam keine Reaktion. Alle waren vollkommen auf dieses Bündel fixiert, das sich in den Armen meiner besten Freundin räkelte.
Ich ging aus dem Zimmer und ärgerte mich über mich selbst. Schließlich war ich kein Kind mehr, sondern fast einundzwanzig, aber trotzdem … trotzdem … Mum, Bingo-Mann und jetzt auch noch ihr Baby hatten es fertiggebracht, dass ich mich komplett beschissen fühlte. Ich fuhr wieder heim, nahm den
Leitfaden
zur Hand und las die Sätze über Geschwister noch einmal.
Aber es nützte nichts.
Das Baby schrie pausenlos. Um zwei Uhr nachts und um sechs Uhr morgens saß Mum mit ihm an der Brust in der Küche. Ich zweifelte daran, dass ich rechtzeitig aus dem Bett käme, um zu den fünf Bewerbungsgesprächen zu gehen, die ich für diesen Tag vereinbart hatte. Bei dem ersten ging es um die Büroleitung in einer Werbeagentur. Natürlich hatte ich absolut keine Chance, diesen Job zu bekommen, denn ich war nicht nur unterqualifiziert und hatte auf diesem Gebiet keinerlei Erfahrung, sondern war noch dazu viel zu jung. Aber ich wollte es trotzdem versuchen. Dads Rat.
Bewirb Dich auf ein paar Jobs, die Du bestimmt nicht bekommen wirst.
Warum?
Womöglich bekommst Du ja doch einen von ihnen. Außerdem ist es immer gut, so viele Erfahrungen mit Bewerbungsgesprächen zu sammeln wie möglich. Und wenn Du die Stelle nicht bekommst, dann schreibe der Firma und bitte sie freundlich, Dir die Ablehnungsgründe zu nennen. Womöglich warst Du unterqualifiziert oder überqualifiziert (ja, das gibt’s auch) oder Du hast auf bestimmte Fragen nicht so geantwortet, wie sie es erwartet haben. Es gibt tausend Möglichkeiten, aber es ist immer gut, Bescheid zu wissen. Denn so kannst Du Dich besser auf das nächste Bewerbungsgespräch vorbereiten.
Die Vorstellungsgespräche liefen gut, und ich gewann mehr Selbstvertrauen. Natürlich bewarb ich mich auch auf Jobs, bei denen ich eine realistische Chance hatte, genommen zu werden. Ich führte (nur ganz leicht übertrieben) meine Bürotätigkeit in Amerika und meine kurze Zeit als Verkaufsleiterin in dem Schuhgeschäft an.
Zu Hause hätte man davon ausgehen können, dass unsere neue Mitbewohnerin Mums Zeit vollständig in Anspruch nahm, aber sie fand immer noch ausreichend Gelegenheit, sich bei mir darüber zu beschweren, dass ich dem Baby so wenig Aufmerksamkeit schenkte.
«Du weißt doch, ich muss mich auf die Bewerbungsgespräche vorbereiten. Soll ich mir etwa keine Arbeit suchen?»
«Ich sage ja nur, dass du sie ab und zu mal auf den Arm nehmen könntest», wandte sie ein. Ich stand im Flur mit dem Rücken zur Wand, während sie sich mit dem Baby im Arm vor mir aufgebaut hatte. «Sie beißt nämlich nicht!»
«Das weiß ich!» Doch als ich auf das Baby hinuntersah, regte sich nichts in mir. Sie war eben einfach ein Kind, das zufällig entfernt mit mir verwandt war. Sie sah auch niemandem aus der Familie besonders ähnlich, und das war ein Glück für sie, denn so würde bis auf weiteres kein Mensch Bingo-Mann für ihren Vater halten.
«Na, es geht doch!», sagte Mum triumphierend, als ich meine Arme um den kleinen Körper legte, der seit unserer letzten näheren Begegnung erheblich gewachsen war. Doch Abbi war immer noch winzig und zart und erinnerte mich an das Tiny-Tears-Püppchen, das ich mir einmal gewünscht hatte und das dann irgendwie unter Carlas Weihnachtsgeschenke geraten war. Das Baby lächelte mich an, und daraus schloss Mum, dass wir schon die besten Freundinnen waren.
«Sie liebt ihre große Schwester, nicht wahr, mein süßer kleiner Engel?» In letzter Zeit schaltete die Stimme meiner Mutter ständig zwischen «durchschnittlich intelligente Frau» und «quiekende Kinderfernseh-Moderatorin» hin und her. Mit einem erstarrten Lächeln sah ich das Baby anund fragte mich, wie lange ich hier noch zwischen der Wand und meiner Mutter eingeklemmt stehen bleiben musste. Als das Baby gleich darauf einen kleinen Schrei ausstieß, fand ich, dass es an der Zeit war, Mum das Kind wieder zu übergeben.
Leider steigerte sich der Schrei zu einem Dauergeplärre, das eine Stunde später immer noch andauerte. Ich bemühte mich währenddessen, neue Bewerbungen zu formulieren, und langsam dämmerte es mir, was ich zu tun
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