Für immer, Dein Dad
hatte. Als mich das Geschrei um zwei Uhr nachts und um sechs Uhr morgens erneut weckte, gab es keinen Zweifel mehr. Ich wartete noch drei Stunden, bevor ich völlig übermüdet auf direktem Weg zum Arbeitsamt ging. Ich fand einen Vollzeit-Job auf der Liste, rief an und erfuhr, dass ich sofort anfangen konnte. Es war zwar keine besonders tolle Arbeit (in den frühen Morgenstunden musste ich in einem riesigen Supermarkt Regale auffüllen), aber sie wurde einigermaßen gut bezahlt, und so hatte ich bald genügend Geld für die Kaution und zwei Mieten zusammen. Ich zog mit Carla in eine Dreizimmerwohnung. Sie hatte schon seit der Scheidung ihrer Eltern, nach der sich ihr Vater in Barcelona niedergelassen hatte, unbedingt von zu Hause ausziehen wollen.
An meinem letzten Abend daheim betrachtete ich das schlafende Baby in seinem Bettchen, beobachtete, wie sich die kleine Brust hob und senkte und wie sich die Fäustchen schlossen und wieder öffneten. Inzwischen war Abbi richtig niedlich. Ihre großen Locken lagen auf dem Winnie-the-Pooh-Kopfkissen, das ich in der Babyabteilung gekauft hatte, als Carla und ich Besorgungen für unsere neue Wohnung machten. Wieder einmal bemühte ich mich, «es» zu empfinden; dieses Gefühl uneingeschränkter Liebe, über dasDad im
Leitfaden
geschrieben hatte. Dieses Gefühl, das man für ein Baby empfinden soll, das durch einen biologischen Zufall mit einem verwandt ist. Und tatsächlich spürte ich eine winzige Regung. Sie war eben ein Kind. Genau wie ich für Granny Bates, Tante Philomena und Tante Ina ein Kind gewesen war. Mit jemandem blutsverwandt zu sein, garantiert zwar noch lange nicht, dass man etwas Besonderes für ihn empfindet. Aber Kinder, egal, zu wem sie gehören, haben fast immer etwas Rührendes. Zart legte ich dem Baby meinen Zeigefinger auf die Stirn. «Gute Nacht», flüsterte ich leise.
Die Wohnung, in die ich mit Carla einzog, hatte einen Blick auf einen ungepflegten Park, in dem es oft ziemlich laut zuging. Mindestens zweimal wöchentlich brannten dort verbotene Lagerfeuer, und auf so ziemlich jede brauchbare Fläche waren Graffitis gesprüht. Wenigstens lag die Wohnung in Greenwich, fast an der Grenze zu Blackheath. Also weit genug von Mum entfernt (wenn auch die Busfahrt nicht lange dauerte), aber immer noch nah genug an den vertrauten Orten, die auch mein Dad gekannt hatte. Ich brauchte diese Nähe.
Abgesehen von der nicht gerade erstklassigen Lage roch es in der Wohnung ein bisschen muffig, aber das störte uns nicht. Carla und mir genügte es, jung und unabhängig zu sein und tun und lassen zu können, was wir wollten. Noch immer dachte ich oft an meine Zeit in Amerika und konnte es kaum erwarten, weitere Erfahrungen zu machen, Neues kennenzulernen. Alles musste sich ändern. Es war an der Zeit, dass ich mein Leben selbst in die Hand nahm. Das schloss leider auch Rechnungen, Küchenarbeit und die Schlepperei der Wäsche zum nächsten Waschsalon mit ein.
Zuerst gefiel es mir unheimlich gut, mit Carla zusammenzuwohnen. Doch nach einer Weile, sagen wir, nach einer WOCHE, fingen manche ihrer Eigenschaften an, mir auf die Nerven zu gehen. Zum Beispiel ihre nichtvorhandene Einstellung zu Sauberkeit oder die Tatsache, dass sie niemals irgendetwas aufräumte. Noch dazu meckerte sie ständig über meine Programmwahl im Fernsehen. Aber was mich fast zur Verzweiflung brachte, war das lautstarke Gestöhne, das sie und Fred (ihr neuer Rockmusikerfreund) im Zimmer nebenan produzierten, wenn ich von der Nachtschicht im Supermarkt kam und dringend meinen Schlaf brauchte. Immerhin war ich von zu Hause ausgezogen, damit mich kein schreiendes Baby mehr weckte. Ich hatte aber auch ein Pech! Trotz allem war ich manchmal so froh, dass ich mich selbst zwickte, nur um mich daran zu erinnern, dass ich das Chaos und das unerträgliche Familienidyll bei Mum endlich los war.
Natürlich ging ich sonntags ab und zu zu Mum (meistens hatte ich eine Tüte Schmutzwäsche dabei). Es schockierte mich jedes Mal, wie das einst perfekt geputzte und aufgeräumte Haus im Chaos versank. Überall lagen Spielsachen und Windeln, und als Soundtrack gab es Babygeschrei. Ich räumte die Waschmaschine ein, während Mum oder Bingo-Mann versuchten, das Baby zu beruhigen. Dann verschwand ich gewöhnlich nach nebenan zu Carlas Mutter und kam erst zum letzten Schleudergang zurück. An einem Sonntag war Carlas Mutter nicht da, also musste ich bei Mum bleiben und mir ansehen, wie Bingo-Mann «Daddy»
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