Für immer, Dein Dad
zugleich schmolzen meine Ersparnisse mir rasender Geschwindigkeit zusammen.
Schließlich beschloss ich doch, mich bei der Abendschule für einen Fotokurs einzuschreiben. Zuerst tat ich das eigentlich nur, um mich zu zwingen, aus dem Haus zu gehen. Tatsächlich halfen mir die beiden wöchentlichen Termine dann aber wirklich, nicht völlig verrückt zu werden. Und sie zeigten der restlichen Welt, dass ich mich noch nicht komplett aufgegeben hatte.
Bald machte der Kurs mir richtig Spaß. Ich lernte, Belichtung und Aufnahmewinkel zu nutzen und wie man mit Photoshop Bilder nachbearbeitet. Ich genoss es, mit anderen zu sprechen, die meine neue Leidenschaft für die Fotografie teilten und die nichts von meiner beruflichen Katastrophe ahnten. Mit Biyi, einem anderen Kursteilnehmer, freundete ich mich an, nachdem wir einmal eine praktische Übung zusammen gemacht hatten. Er war ungefähr so alt wie ich, groß und schlaksig, und er hatte die dichtesten Wimpern, die ich je gesehen hatte. Obwohl wir gute Gespräche führten, war er ein eher ruhiger Typ, und das machte ihn mir noch sympathischer. In null Komma nichts hatte ich die Grundlagen der Digitalfotografie gelernt. Im Gegensatz zu den meisten anderen besaß ich auch eine Spitzenkamera, die abgesehen von den wenigen Fotos, die ich von Abbi gemacht hatte, bisher in meinem Schrank verstaubt war.
Biyi begleitete mich nach den Kursen meistens bis vor die Haustür. Eines Abends drückte er mir auf einmal einen feuchten Kuss auf die Lippen. Dann sagte er leise, ich sei eine Schönheit, was in Anbetracht meiner nachlässigen Aufmachung vermutlich eine Lüge war. Trotzdem hörte ich es mir gerne an. Und es fühlte sich auch gut an, ihn zu küssen – genauso, wie am nächsten Morgen in seinen Armen aufzuwachen.
Weil wir uns über die Fotografie kennengelernt hatten,sprachen wir auch außerhalb des Kurses viel darüber. Wir gingen in die Bibliothek und liehen uns Fotobände aus, im Park zielten wir mit dem Apparat auf alles, was sich bewegte, und wir verbrachten Stunden in den Buchläden, um die Neuerscheinungen durchzublättern.
Biyi war wirklich süß, und ich glaube, ich hielt mich an ihm genauso aufrecht wie am
Leitfaden
. Er bedrängte mich nie und gab sich mit der Zeit zufrieden, die ich für ihn hatte. Von mir selbst erzählte ich ihm kaum etwas – alte Gewohnheiten wird man eben schwer los. Als ich einmal meine Finanzmisere erwähnte, war er bloß beeindruckt davon, wie ich es in meinem Alter geschafft hatte, dermaßen viel Geld zu verdienen. Dennoch war ich mit seiner Zuneigung und Bewunderung nicht im Reinen. War ich etwa keine Versagerin, die es nicht geschafft hatte, ihre Arbeit zu behalten? Hatte ich damit etwa nicht mich selbst und, noch schlimmer, meinen Dad enttäuscht? Biyi winkte ab. Für ihn war ich eine jetsettende Senkrechtstarterin, während ich im Spiegel immer nur eine erfolglose Niete sah.
Biyi und ich gingen fast nie aus. Wir blieben am liebsten bei mir zu Hause und fotografierten uns gegenseitig. Biyi, wie er am späten Vormittag im Bett lag und die Sonne auf seinem Gesicht spielte; ich, beim Zähneputzen übers Waschbecken gebeugt, während ich ihm spielerisch drohte, weil er immer weiter auf den Auslöser drückte. Mir gefiel der Gedanke, dass man einen Moment festhalten konnte, der nie wiederkommen würde. Genau, wie ich es als kleines Mädchen getan hatte, als ich dieses Foto von Dad machte. Und genau, wie es Dad mit dem
Leitfaden
getan hatte.
Langsam kroch ich wieder aus meinem Schneckenhaus. Ich konnte mir allmählich vorstellen, es erneut mit der Welt da draußen aufzunehmen. Ich verkaufte mein Auto, dennvon meinen Ersparnissen war praktisch nichts mehr übrig. Auch der Fotokurs näherte sich seinem Ende. Aber ich glaubte, genug gelernt zu haben, um den nächsten Schritt zu wagen: Ich wollte ein Fotostudio eröffnen.
«Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?» Typisch. Endlich hatte ich mich wieder einmal zu einem Besuch bei Mum durchgerungen. Dieses Mal kam ich bewaffnet mit meinem Fotoapparat und machte ständig Aufnahmen. Biyi hatte mir geraten, ihn überall mit hinzunehmen.
«Ja, Mum. Es ist nämlich genau das, was ich machen will», sagte ich. Ein Bild von Corey tauchte in meinem Kopf auf. Er hatte seine kreative Ader früh erkannt, und nun hatte auch ich meine gefunden. Ich schnappte mir gerade einen Toast, als Abbi wie der Blitz in die Küche schoss.
«Hallo, Abs!», sagte ich. Sie drückte mir ein zartes Küsschen auf die
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