Für immer, Dein Dad
was dieses Gedicht sagen will, ist: Es wird stürmische Zeiten für Dich geben, die scheinbar niemals enden wollen. Das Leben besteht eben nicht nur aus Sonnenschein. So etwas zu behaupten, wäre reiner Schwindel.
Verstehst Du, was ich meine?
Am liebsten wäre es mir natürlich, wenn meine Tochter niemals schwere Zeiten durchmachen müsste. Wirklich. Ich würde Dir gerne sagen, dass das Leben nichts ist als ein Spaziergang durch einen duftenden Rosengarten …
Aber das kann ich nicht.
Ich wollte, du könntest es, Dad. Warum bist du nicht hier? Bei mir? Warum beschützt du mich nicht? Bewahrst mich vor all den Enttäuschungen? Dem Schmerz?
Das fragte ich mich von morgens, wenn mich die Hoffnungslosigkeit überfiel, bis abends, wenn ich mich auf der Suche nach Schlaf im Bett herumwälzte. Ich schäme mich fast, es zu sagen – aber manchmal wäre ich am liebsten überhaupt nicht aufgewacht, denn das Gefühl, ohne jede Aussicht auf Besserung vollkommen am Ende zu sein, war übermächtig. Mein Vater fehlte mir mehr denn je. Ich sehnte mich nach seinem wundervollen Lächeln, seiner Aufmunterung und Unterstützung. Ich schloss die Augen und stellte mir sein Gesicht vor. Seinen Leberfleck. Wie hatte sich wohl sein Lachen angehört? Zog er seine Fußballschuhe nach einem Spiel gleich hinter der Haustür aus, weil sie müffelten? Hatte er rohe Zwiebeln genauso gehasst, wie ich es tat? Wo bist du, Dad? Wo bist du?
Ich schlug den
Leitfaden
auf und drückte das Buch anmeine Brust. Schluchzend bemühte ich mich, Dad zu spüren, doch offenbar war ich nicht mehr in der Lage, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Er schien für mich nur erreichbar, wenn ich glücklich und zufrieden war und den Ratschlägen des
Leitfadens
folgte. Wenn alles gut lief. Doch nun, wo ich von meinem erfolgreichen Weg abgekommen war, spürte ich Dads Anwesenheit nicht mehr.
Inzwischen war ich seit zwei Monaten arbeitslos. Wieder mal hatte ich schlecht geträumt (ich irrte als Obdachlose durch die Straßen Barcelonas). Als ich die Post durchsah, die nur noch aus Bergen von Rechnungen zu bestehen schien, entdeckte ich den glänzenden Prospekt einer Abendschule, der versehentlich mir statt meiner Nachbarin zugestellt worden war.
Ich blätterte das Kursangebot durch: Spanisch, Kochen, Japanisch, Gesang, Fotografie … und warf einen Blick auf den teuren Fotoapparat, den ich auf dem Höhepunkt meiner Karriere gekauft hatte. Er erinnerte mich ständig daran, wie leichtsinnig ich zu dieser Zeit mit Geld umgegangen war.
Der schmierige Kerl beim Arbeitsamt grinste, als er meinen Antrag auf Arbeitslosenunterstützung im Schneckentempo durchlas, um zu einer «Einschätzung» zu kommen.
«Sie kennen sich also mit Computern aus, richtig?»
«Ich habe jahrelang mit Computern gearbeitet, ja.»
Schon jetzt ging mir dieser selbstzufriedene picklige Jüngling auf die Nerven. «Wir haben sehr viele Jobangebote für Computerarbeit. Haben Sie sich schon die Angebote angesehen, die um siebzehn Uhr rausgekommen sind? Sie hängen draußen am Anschlagbrett.» Seine Stimme klang spöttisch.
«Ich glaube, ich habe schon alle Stellenangebote gesehen …», sagte ich zögernd und klammerte mich an den neuen Hoffnungsschimmer.
«Warten Sie, ich rufe sie auf», sagte er und tippte wild auf seiner Computertastatur herum. «Der hier zum Beispiel.» Er drehte den Bildschirm zu mir um.
«Dateneingabe?»
«Warum nicht?»
«Na ja, der Verdienst ist …»
«Er liegt knapp über dem Mindestlohn von fünf Pfund und fünf Pence. Was wollen Sie mehr? Etwa noch einmal die Schulbank drücken …»
«Ich habe darüber nachgedacht, einen Fotokurs zu belegen.»
«Warum?»
«Weil … ich mag Bilder …»
Er schnaubte nur und forderte mich auf, mir das Stellenangebot genauer anzusehen. Die Arbeitszeiten waren schlecht, und mein Verdienst würde kaum reichen, um die Raten meines Kredits abzubezahlen – abgesehen davon, dass ich dann für Lebensmittel nichts mehr übrig hätte. Der kleine Mistkerl erklärte mir, dass sie mir die Unterstützung ganz streichen könnten, wenn ich zu viele Jobangebote ablehnte. Und so ging es weiter, blablabla, während mir die Verzweiflung langsam die Kehle zuschnürte.
Zu Hause ging ich meistens nicht ans Telefon und verließ das Haus praktisch nur noch zu meinen Pflichtbesuchen beim Arbeitsamt. Auch das tat ich nur, weil ich Angst hatte, meine Wohnung zu verlieren. Doch ich fand einfach keine ordentliche Anstellung mehr, und
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