Für immer, Deine Celia: Roman (German Edition)
wahre Geschichte des Fotos zusammengereimt. Das Datum auf der Rückseite des Fotos war der Schlüssel. Es war, fand Bud später, als habe sich erneut der Geist der Großmutter geregt, sie zu diesem Buch geführt, dafür gesorgt, dass es an der kritischen Stelle aufklappte und sogar – wenn sie wirklich ins Phantastische abgleiten wollte – einen Sonnenstrahl auf eine Zahlenreihe in glänzender alter Tinte gelenkt. Aber ihre Großmutter hatte für das Wörtchen »wenn« nie viel übriggehabt. Ein Teil der Faszination, die sie ausgeübt hatte, war es gewesen, dass sie an das Unmögliche geglaubt hatte.
31
Er ist ein Teil von mir geworden.
Anders lässt sich diese ungewohnte neue Stimme
nicht erklären, die Überzeugung, dass ich endlich
das erreichen kann, was ich möchte.
TAGEBUCHEINTRAG VOM 9. SEPTEMBER 1990.
Aus verständlichen Gründen konnte Bud ihre letzten Ferien bei den Großeltern nicht vergessen. Vor Fredericks plötzlichem Tod am siebten Januar 1990 war der Aufenthalt ausgesprochen glücklich gewesen – trotz des im Haus lebenden Pflegers, dem Klappern medizinischer Geräte, dem allgegenwärtigen, beißenden Geruch von Desinfektionsmitteln. Dafür hätte Celia gesorgt. Allen war aufgefallen, welch positive Energie sie ausstrahlte. So kurz nach Margarets Hochzeit und dem Weihnachtsfest mit der Familie hätte sie eigentlich erschöpft sein müssen. Davon abgesehen war Frederick anstrengender gewesen denn je, hatte ständig nach ihr geklingelt, so als widerstrebe ihm ihr glücklicher Zustand, den er nicht teilen konnte. (Jedenfalls hatte Bud gehört, wie ihre Mutter dies gegenüber dem Vater behauptet hatte.) Drei Tage nach Weihnachten hatte Whoopee gesagt: »Bist du sicher, dass du nicht mit uns zurück nach London kommen willst, Zuckerpüppchen? Ich möchte keine Minute länger in diesem Haus des Grauens bleiben.«
Sich an diese Zeit zu erinnern und sie als Erwachsene neu zu interpretieren, war, als fände man eine alte Kinderzeichnung wieder. Obwohl man als Kind keine Perspektive hatte zeichnen können, war da eine Klarheit des Blicks gewesen, die man nie wieder erreichte.
Sie war in Parr’s geblieben, weil sie ihre Großmutter für sich allein hatte haben wollen. Und nachdem sie den Rest der Familie verabschiedet, zu Abend gegessen und Steve, dem Pfleger, entflohen waren, hatten sie sich, Hand in Hand durch den Garten schlendernd, zum ersten Mal eingehend unterhalten. »Wunder« waren ihr Thema gewesen. Celia sagte, sie wisse jetzt, dass es Wunder gäbe. Und in diesem Moment passierte etwas Merkwürdiges: Ein heller Lichtstrahl erschien am Himmel, verglühte zu feinem, das Firmament überziehenden Sternenstaub, den schließlich die Dunkelheit verschlang. Es war die erste Sternschnuppe, die Bud je gesehen hatte. Unmittelbar nach dieser Erscheinung allerdings wirkte Celia eher besorgt als begeistert. »Wir müssen zum Haus zurück«, sagte sie, als könne nicht einmal dieses zauberhafte Neujahrsgeschenk ihren kranken Mann vergessen machen.
Die Mahlzeiten waren eine Qual. Frederick brauchte eine Ewigkeit für seine Portion, die stets püriert war, damit er sich nicht verschluckte. Trotzdem musste Steve ihn regelmäßig im Rollstuhl aus dem Zimmer schieben und seine Luftröhre (hörbar) im Korridor draußen reinigen. An dem Abend, als er starb, ungefähr eine Woche nach dem Erlebnis mit der Sternschnuppe, gab es gebratenes Hühnchen, das, wie Bud fand, auf seinem Teller wie Erbrochenes aussah. Während des Essens ließ Steve seine üblichen Plattitüden vom Stapel, der fette Steve, der die Großmutter ärgerte, indem er den Großvater »Fred« nannte und nachts den Kühlschrank leerte, einmal sogar einen ganzen Apfelkuchen verspeiste, was er leugnete, obwohl nur er der Übeltäter sein konnte. In dieser Nacht sollte es Frost geben. Er wiederholte es mindestens dreimal. Die einzige Ablenkung war ein Spiel, das Bud und ihre Großmutter erfunden hatten. Dabei ging es darum, dass er ein Wort raten musste, auf das sie sich zuvor geeinigt hatten.
»Hm, hast du letzten Sommer Marmelade gekocht, Großmutter?«, fragte Bud und versuchte, nicht zu lachen.
»Natürlich, Liebes«, erwiderte Celia. »Wie immer. Ich koche sie aus Zwetschgen und Erdbeeren und … Oh, wie heißen doch diese blöden kleinen Früchte, die wild in den Hecken wachsen? Ihr Name ist mir einfach entfallen!«
»Sie sind schwarz«, fiel Bud aufgeregt ein. »Und es sitzen immer Fliegen darauf, und sie haben Ranken, die in die Haut stechen.
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