Für immer die Seele (Für-immer-Trilogie) (German Edition)
muss hier weg«, sage ich und setze mich wieder in Bewegung. Die Sonne beginnt bereits zu sinken und die meisten Eltern haben sich mit ihren Kindern auf den Heimweg gemacht.
Noch schlimmer als der Gedanke, dass er mich anlügt, ist die Tatsache, dass all das irgendwie tatsächlich einen Sinn ergibt. Wie wenn ich nach etwas gesucht habe und es dann plötzlich vor mir sehe. Aber ich kann und will ihm nicht glauben. Wahrscheinlich liegt es nur an seiner Nähe. Daran, dass die warme Abendluft seinen Geruch zu mir herüberweht und mein Gehirn vernebelt.
»Lass dir Zeit«, sagt er. »Ich habe Jahre gebraucht, um dahin zu kommen, wo du jetzt bist.«
»Und wo genau soll das sein?«
»Dort, wo man Antworten findet.«
»Antworten? Mir fallen nicht mal die richtigen Fragen ein.« Ich bin nicht besonders religiös oder sonst irgendwie gläubig, aber trotzdem. Nur mal für einen Moment angenommen, er sagt die Wahrheit, was ist dann mit Gott? Mit Engeln, dem Himmel und so? Wer bestimmt, wie und wann jemand zurückkehrt? Wieder denke ich an meine Vision im Tower und auch an die anderen Visionen, die mich verfolgen.
»Und woher wusstest du, dass ich … mich an Dinge erinnere?« Tief in mir spüre ich das raue Holz der Plattform und rieche das feuchte Stroh. Ich kann mir nicht vorstellen, eine andere gewesen zu sein, als die, die ich bin. Auch wenn ich keine bessere Erklärung habe. Es geht einfach nicht.
»Ich wusste es, als ich dich berührt habe«, sagt er. »Als ich dir aufhelfen wollte. Da habe ich es gespürt. Wenn man einen anderen Akhet berührt, entsteht eine ganz besondere Schwingung.« Er atmet tief durch. »Und ich habe auch gespürt, dass du es selbst noch nicht weißt.«
Ich gehe langsam weiter, wieder schwirren mir lauter Fragen durch den Kopf, auf die ich gern eine Antwort hätte – falls das alles wirklich wahr sein sollte. Wie geschieht es? Wo sind die anderen? Erreicht man irgendwann einen Punkt, an dem man sich an alles erinnert?
»Wann hast du … es herausgefunden?«, frage ich schließlich und komme mir dabei ziemlich lächerlich vor. Ich schaue mich um, um sicherzugehen, dass niemand uns hören kann. Vielleicht verstehe ich ja, was hier vor sich geht, wenn ich vorgebe, ihm zu glauben.
Griffon atmet tief aus und fährt sich mit den Fingern durch die Haare. »Mein Übergang liegt schon lange zurück. Ist eine ganze Weile her, dass ich zuletzt daran gedacht habe.« Er schweigt einen Moment und fährt dann fort: »Ich denke, es war so ähnlich wie bei dir, es geschah Stück für Stück. Ich lebte in Italien und war bereits ein älterer Mann – das heißt, ich war vierzig, aber das galt damals schon als sehr alt –, als ich endlich begriff, was da mein ganzes Leben hindurch mit mir geschehen war. Eine Frau, der ich begegnete, half mir. Sie wusste es. Sie war eine Iawi-Akhet.« Er sieht mich an. »Entschuldige, Iawi sind Akhet, die schon seit vielen Leben im Besitz ihrer Erinnerungen sind.«
»Wann war das?«, frage ich, denn obwohl ich daran zweifele, ist mir klar, dass es für Griffon die Wahrheit ist.
Er schaut mich an und zögert einen Moment. »Im frühen siebzehnten Jahrhundert«, sagt er dann, »schwer, es genauer zu sagen.«
»Und wie alt bist du jetzt?«
»Siebzehn.«
»Soll das heißen, dass du seit mehr als vierhundert Jahren siebzehn bist?« Er muss doch merken, wie irrwitzig das klingt.
Er lächelt ein bisschen traurig. »Nein. Ich bin kein Vampir oder unsterblich. Letzten Februar bin ich siebzehn geworden. Es ist nur, dass ich eben schon viele Male siebzehn geworden bin.« Er bleibt stehen und schaut sich um. »So, wie wir alle. Aber nur wenige nehmen die Erfahrungen früherer Leben mit in das nächste. Wir erinnern uns an das, was die anderen vergessen. Das ist eine gute Sache – meistens.«
»Was wurde aus ihr?«, frage ich.
Er sieht mich verwirrt an. »Aus wem?«
»Aus der Frau, die dir geholfen hat.«
»Sie starb. Schon sehr bald, nachdem ich ihr begegnete.« Ein Schatten huscht über sein Gesicht und verrät mir, dass die Erinnerung ihn schmerzt. Außerdem spüre ich, dass das noch nicht die ganze Geschichte ist, darum schweige ich.
»Sie wurde getötet«, fährt er fort, »weil man sie für eine Hexe hielt. Damals konnte man über solche Dinge nicht öffentlich sprechen.« Er blickt sich um, als wir die Unterführung verlassen und wieder auf die geschäftige Straße hinaustreten. »Und wenn man nicht unfreiwillig in irgendeine Therapie gesteckt werden will, sollte man
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