Für immer die Seele (Für-immer-Trilogie) (German Edition)
Nachttisch. »Das wollte ich nicht, bestimmt nicht.«
»Ist nicht deine Schuld«, bringe ich schluchzend hervor. »Ich muss eben damit klarkommen.«
»Vielleicht wird ja alles gut«, sagt sie hastig. »Ich meine, die können heutzutage alles Mögliche wieder hinbiegen. Vielleicht musst du nur ein paar Wochen oder Monate Geduld haben und dann ist alles wieder wie früher.«
»Netter Versuch, Mary Poppins.« Ich reiße mich zusammen und dränge die noch ungeweinten Tränen wieder zurück in meinen Brustkorb, wo sie wie ein Stein liegen bleiben. »Aber du weißt so gut wie ich, dass das nur ein schöner Traum ist.«
»Das ist noch gar nicht raus. Ich glaube jedenfalls daran, und das solltest du auch tun.« Sie steht auf und schaut sich die Blumensträuße und Karten an, die überall im Zimmer verteilt stehen. »Nicht übel«, sagt sie. »Ganz so unbeliebt bist du anscheinend doch nicht.«
Ich muss lachen, denn natürlich kommt der größte und verrückteste Strauß von Rayne und ihrer Mom. Wilde Feldblumen. »Ja, ich scheine plötzlich eine Menge Fans zu haben. Fast zu verbluten, hat offensichtlich auch seine guten Seiten.«
»Muss ganz schön schlimm ausgesehen haben«, sagt Rayne und verzieht das Gesicht. Bisher habe ich versucht, möglichst nicht daran zu denken. Seit ich im Krankenhaus bin, habe ich nur das Nachthemd und meinen Morgenmantel getragen, meine anderen Sachen habe ich gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. Jetzt wird mir klar, dass Mom sie vermutlich weggeworfen hat, weil sie voller Blut waren.
»Wer hat denn den Bambus geschickt?«, fragt Rayne und beugt sich neugierig über einen kleinen, roten Topf.
»Weiß nicht. Den hab ich noch gar nicht gesehen. Ist keine Karte dabei?«
Rayne schaut genauer nach. »Nö. Hm … drei Triebe. Die Chinesen sagen, das steht für langes Leben.«
»Woher weißt du eigentlich solche Sachen?«
Rayne zuckt mit den Schultern. »Du kannst Cello spielen, ich kenne mich mit Steinen und Pflanzen aus.« Mit dem Finger streicht sie über eins der kleinen grünen Blättchen. »Seltsam. Was meinst du, wer ihn geschickt hat?«
Langes Leben. Und er hat gesagt, dass er in einem seiner früheren Leben Chinese war. Ein breites Lächeln erscheint auf meinem Gesicht, denn ich weiß genau, von wem der Bambus kommt.
17
Gabi knallt unsanft die Tür ihres Spinds zu und ich zucke zusammen. »Schreckhaft heute?«, fragt sie lachend.
»War nur in Gedanken woanders«, sage ich. Seit letzter Woche genügt das kleinste Geräusch oder irgendeine hastige Bewegung in meiner Nähe und ich bekomme Herzrasen. Ständig bilde ich mir ein, irgendwo Veronique zu sehen.
»Ich glaube, ich weiß, wo du mit deinen Gedanken warst«, kichert Rayne. »Oder besser gesagt, bei wem .«
»Falsch«, sage ich und taste dabei ganz automatisch nach dem Handy in meiner Tasche.
»Seht ihr euch heute?«
»Nein, wahrscheinlich erst morgen. Ich hab ihn überhaupt noch nicht gesehen, seit ich aus dem Krankenhaus raus bin.«
»Pech, dass du dir nicht die rechte Hand verletzt hast«, sagt Gabi und schaut auf meinen geschienten linken Arm. »Das hätte dir den Aufsatz bei Ms. Lipke heute Nachmittag erspart.«
»Langsam geht mir diese Frau wirklich auf die Nerven«, sagt Rayne. »Habt ihr heute Morgen etwa einen geschrieben?«
»Eine geschlagene Stunde mussten wir uns über eins der Bücher auslassen, die wir durchgenommen haben – Und ihre Augen schauten Gott. Das kommt bei euch also schon mal nicht dran.«
»Ich hab echt keinen Bock drauf. Lieber würde ich mir die Pulsadern aufschlitzen, als diesen blöden Aufsatz zu schreiben.« Rayne sieht mich erschrocken an. »Oh Mist, sorry, das war nicht so gemeint.«
»Schon okay.«
»Bis später dann«, ruft Gabi und trabt in entgegengesetzter Richtung davon.
Gerade als es klingelt, schlüpfe ich in den kleinen Orchestersaal. Ich fühle mich hier im Moment ziemlich überflüssig, weil ich nur zugucken kann und nicht mitspielen. Ganz automatisch will ich erst zu meinem Stuhl bei den anderen Celli gehen, aber dann zögere ich. Ich habe kein Cello dabei, und auch wenn ich eins hätte, ich könnte nicht spielen. Ich mache kehrt und suche mir einen freien Platz hinten bei den Pauken.
»Nicole?« Herr Steinberg wandert durch die Reihen, während die anderen ihre Instrumente auspacken und stimmen. Er gibt mir nicht nur Privatunterricht, sondern ist auch der Dirigent des Schulorchesters. Ich vermisse die Einzelstunden am Nachmittag, aber solange ich nicht spielen kann, hat
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