Für immer die Seele (Für-immer-Trilogie) (German Edition)
dass du dich überhaupt nicht dafür interessierst, wer ich bin. Für dich zählt nur, was ich kann.«
Mom steht auf und tritt näher an mein Bett heran. »Wie kannst du so etwas sagen? Nach allem, was wir für dich getan haben … Du weißt doch, dass wir dich lieb haben.«
»Ich weiß, dass du verliebt bist in die Tatsache, dass ich Cello spielen kann. Und in die Vorstellung, die Mutter eines Wunderkinds zu sein«, sprudeln meine Wut und mein ganzer Frust aus mir heraus. »Wunder kind , Mom. Aber ich bin kein Kind mehr. Bald werde ich einfach irgendeine Erwachsene sein, die gut Cello spielt.« Mühsam bewege ich die Finger meiner linken Hand. »Zumindest war das bisher der Plan. Finde dich damit ab: Im Moment bin ich überhaupt nichts Besonderes mehr.«
Mom kommt näher und will ihre Hand auf meine Schulter legen, aber ich drehe mich weg. Sie richtet sich wieder auf, bemüht, ihre Fassung zu wahren, und sagt: »Ich weiß, dass du das nicht so meinst. All das hier muss schrecklich für dich sein. Aber mach dir keine Sorgen, wir werden den besten Physiotherapeuten der Stadt finden und gleich mit der Arbeit beginnen. Wenn du eine Weltklasse-Musikerin werden willst, kannst du dir keine allzu lange Ausfallzeit leisten, sonst …«
»Mom! Du hörst nicht zu!«, brülle ich verzweifelt. »Vielleicht wird es kein sonst geben. Vielleicht werde ich nie wieder spielen können.« Ich muss schlucken und versuche, den Gedanken, nie wieder einen Bogen in die Hand zu nehmen, vorerst zu verdrängen.
»Jetzt hör mir mal gut zu«, sagt sie. »Du bist etwas Besonderes. Das warst du von Anfang an. Von klein auf warst du dazu bestimmt, Cellistin zu werden. Und wir haben alles getan, damit du deine Bestimmung verwirklichen kannst.«
»Sieht so aus, als müsste ich mir jetzt eine neue suchen.«
Mom hat schon Luft geholt und will zu einer ihrer Tiraden über vergeudetes Talent ansetzen, als es an der Tür klopft.
»Kann ich reinkommen?«, ruft Rayne vom Türrahmen her. Ich kann nicht sagen, ob sie unseren Streit mitangehört hat.
»Klar, komm rein«, rufe ich zurück. Mom sinkt auf den Stuhl am Fenster und gibt sich vorerst geschlagen.
»Wie geht’s denn so?«, fragt Rayne. Ihr Blick streift kurz meinen verbundenen Arm, dann schaut sie mir ins Gesicht.
»Ganz okay. Ich darf heute nach Hause.«
Sie beugt sich herunter und umarmt mich ein wenig umständlich, weil die Schiene im Weg ist. »Cool. Wann denn?«
Ich schaue zu Mom hinüber. »Hat er gesagt, um wie viel Uhr?«
»Nein. Wahrscheinlich vor dem Essen.« Sie steht auf. »Ich werde zusehen, dass die Krankenschwestern schon mal die Entlassungspapiere vorbereiten, sonst sitzen wir hier noch den ganzen Tag.«
Ich atme erleichtert auf, als sich endlich die Tür hinter ihr schließt. »Mom will, dass ich noch die ganze Woche zu Hause bleibe, aber ich habe genug vom Rumhängen. Morgen kann ich wohl noch nicht in die Schule, aber hoffentlich am Mittwoch dann.«
»Bestens«, sagt Rayne und schaut noch einmal auf meinen Arm. »Wird er wieder?«
»Klar. Wird nur eine Weile dauern, bis ich wieder richtiges Gefühl in den Fingern habe«, sage ich tapfer, obwohl ich mich plötzlich gar nicht mehr so tapfer fühle.
»Und kannst du dann … wieder spielen?«
»Weiß noch nicht«, versuche ich, möglichst unbeteiligt zu sagen. »Und wenn nicht, was soll’s? Du sagst doch selbst immer, dass es noch andere Sachen gibt im Leben. Vielleicht probiere ich die einfach mal aus.«
»Ja, schon … Aber nie mehr spielen? Was wird dann aus deiner Begabung?«
»Du klingst schon wie meine Mom. Bist du jetzt plötzlich auf ihrer Seite?«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Ich bin auf deiner Seite, das weißt du doch«, sagt Rayne und grinst mich an. »Na ja … Ich habe leider kein besonderes Talent für irgendwas, aber wenn ich eins hätte, dann würde ich es bestimmt auskosten wollen. Ich meine, es muss doch einen Grund dafür geben, dass du so gut bist.«
Wenn sie nur wüsste, wie wahr ihre Worte sind. Ja, es gibt einen Grund dafür, dass ich so gut spielen kann. Konnte . Besser, ich gewöhne mich gleich an die Vergangenheitsform. Ich war mal sehr begabt, es gab einmal etwas, das mir im Leben mehr als alles andere bedeutete … Und das erste Mal, seit ich in diesem Krankenhausbett aufgewacht bin und Griffon an meiner Seite sitzen sah, kommen mir, bevor ich irgendwas dagegen tun kann, die Tränen.
»Oh, verfluchter Mist«, sagt Rayne und fischt ein paar Tücher aus der Kleenex-Box auf dem
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