Fuer immer du
bisher hatte ich nie wirklich darüber nachgedacht, in seine Fußstapfen zu treten. Und doch erwog ich es jetzt, es hatte dazu nur erst die Arbeitsstunden gebraucht, die mich zwangen, das zu tun, was ich eigentlich hätte von Anfang an freiwillig tun sollen.
»Ich habe den Bus verpasst«, entschuldigte ich mich für meine Verspätung.
»Wäre gar nicht so schlimm gewesen, wenn du heute nicht gekommen wärst. Wir sind heute schon zu dritt in der Ausgabe. Unser einziger Mann im Hennenstall ist heute hier«, meinte Ines und konnte sich ein breites Grinsen wohl nicht verkneifen.
»Ein Mann?«, fragte ich erstaunt. »In einer Küche? Freiwillig?«
»Na ja, nicht gleich Mann. Ein bisschen jung ist er schon , zumindest für mich.« Ines war vielleicht Anfang dreißig, sah aber kaum älter aus, als fünfundzwanzig. »Er ist zwanzig, aber unglaublich heiß.«
Der Neuzugang entpuppte sich als Überraschung. Genau genommen, als gut aussehende, ebenholzhaarfarbene Überraschung.
» Adrian? Was machst du denn hier?«, keuchte ich fassungslos auf.
Adrian wandte sich erstaunt um, als er mich im Türrahmen zur Essensausgabe stehen sah. »Ich schätze, das Gleiche, wie du.«
»Tut mir leid«, stammelte ich. »Ich bin nur überrascht, dich hier zu sehen.« Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du überhaupt weißt, dass es Einrichtungen wie diese gibt, setzte ich in Gedanken fort.
»Weil Kerle wie ich, eigentlich nicht sehr wohltätig sind?«, fragte er in gewohnt trotziger Art. Mir wurde heiß. Nervös knabberte ich an meiner Unterlippe. Er hatte mich tatsächlich durchschaut.
»Ich komme aus der Hölle. Wenn man durchgemacht hat, was ich durchgemacht habe, dann versucht man wenigstens, anderen etwas von ihrem Leid zu nehmen.« Adrian runzelte missmutig die Stirn und musterte mich mit kaltem Blick. Warum war er nur immer so zu mir?
»Tut … Tut mir leid. So war das nicht gemeint.« So war es sehr wohl gemeint.
Er wandte sich ab und reichte einer Mutter mit zwei Kindern einen der Kartons über den Tresen, die wir mit Spenden aus verschiedenen Supermärkten füllten: Obst, Gemüse, Milchprodukte, auch mal was Süßes. Je nachdem, was man uns zur Verfügung stellte.
»Wartet!«, rief er den Kindern hinterher. Er reckte ihnen seine Hände entgegen, w and sie vor den Augen der Kleinen und rieb dann wie ein Zauberer die Handinnenflächen aneinander. Seine Hände begannen blau zu leuchten, und das Licht legte sich auf die erstaunten Gesichter der Kinder. Als Adrian seine Hände wieder öffnete, lag in jeder ein Überraschungsei. Die Kinder hüpften freudig vor dem Tresen auf und ab.
Und ich war nicht weniger erstaunt. Ich war mir nicht sicher, was mich mehr verwunderte, dass Adrian zaubern konnte, oder dass er anders war, als ich erwartet hatte. Anders, als er zu mir war, wenn wir uns begegneten. Was hatte ich falsch gemacht, um von ihm mit so viel Geringschätzung überhäuft zu werden? Lag das wirklich an unserem Zusammenstoß oder hatte es mit Sam zu tun? Vielleicht wollte er nur seinen Bruder schützen?
Ich schob mich an Adrian vorbei und begrüßte Erica und Liselotte, die das Mittagessen auf Teller aufteilten, und machte mich daran, den Berg mit schmutzigem Geschirr abzuarbeiten.
Während ich die Spülmaschine ein ums andere Mal einräumte und wieder ausräumte, warf ich Adrian immer wieder verstohlene Blicke zu.
Er schi en Spaß bei der Arbeit zu haben. Er lächelte und unterhielt sich sogar mit einigen Gästen. Den Menschen hier zuzuhören, war wichtig. Oft hatten sie niemanden, der sich mal Zeit für sie nahm. In unserer Gesellschaft waren viele der Leute, die hier herkamen, schlichtweg nicht vorhanden. Aber ein Problem zu ignorieren, ließ es dennoch nicht verschwinden. Nur warum war er zu allen so freundlich, nur zu mir nicht? Zu sehen, wie er all die fremden Menschen anlächelte, versetzte mir einen Stich ins Herz und mein Magen zog sich zusammen.
Erica schob ratternd den nächsten Wagen mit Geschirr herein. Die ältere Dame war Rentnerin. Früher hatte sie in der Kan tine einer Brauerei gearbeitet.
Ich half ihr dabei , die Tabletts vom Wagen in das riesige Spülbecken zu räumen. Gerade war Hochbetrieb und das Geschirr stapelte sich zu Türmen um mich herum.
»Du solltest den Jungen nicht so anstarren«, flüsterte Erica. »Er könnte sonst auf den Gedanken kommen, du magst ihn.«
»Oh nein, damit hat das nichts zu tun«, schnappte ich abwehrend. »Ich kenne ihn. Das ist alles.«
»Und warum wirst du dann
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