Fuer immer Ella und Micha
aufrecht hin und stiehlt sich einen Happen von meinem Kuchen. Von der lila Glasur bleibt ein Krümel auf ihrer Unterlippe haften. Am liebsten würde ich mich vorbeugen und ihn ablecken.
»Was?«, fragt sie, weil ihr mein Blick nicht entgeht.
Ich greife hinüber, und Ella erstarrt, als mein Daumen über ihre Lippe streicht. »Wir sollten tanzen.«
Sie sieht mich verwundert an. »Seit wann tanzen wir?«
»Wir tanzen immer«, antworte ich, reiche ihr die Hand und stehe auf.
»Ja, aber ganz anders als die hier.« Sie zeigt auf die Paare, die sich langsam auf der Tanzfläche bewegen. »Uns zu sehen könnte für sie ein bleibendes Trauma sein.«
»Komm schon, Ella May, tanz mit mir.« Ich bezaubere sie mit meinem besten Lächeln und halte ihr weiter die Hand hin.
Seufzend schmiegt sie ihre Finger in meine, und ich ziehe sie hoch. Als wir die Mitte der Tanzfläche erreichen, wirbele ich Ella herum und dicht an mich. Noch ehe ich meine Hände an ihre Taille lege, entdecke ich ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie legt die Arme um meinen Hals.
Während wir zu der Musik tanzen, beuge ich meinen Mund zu ihrem Ohr und singe leise mit.
Sie neigt sich zurück und sieht mich an. »Woher kennst du den Text von ›The Story‹? Die wenigsten Jungs hören Brandi Carlile.«
»Schhh … verrat’s keinem.« Ich zwinkere ihr zu und ziehe sie näher zu mir. »Du hast diesen Song früher dauernd gehört. Wie soll ich den Text da nicht kennen?«
Sie klammert sich an mich, und ich singe weiter. Ihr Kopf ruht an meiner Schulter. Heute habe ich keine Angst mehr, ihr zu sagen, was ich fühle. Ich will sogar, dass sie es weiß, dass sie begreift, was wir haben. Unmöglich kann ich das für mich behalten.
»Ich liebe dich, Ella May«, flüstere ich, bevor ich sie auf die Wange küsse. »Und eines Tages will ich genau dasselbe auf unserer Hochzeit machen.«
Ella
»The Story« von Brandi Carlile klingt durch den Raum. Es ist ein ruhiger Song, dessen Text mich mitten ins Herz trifft. Micha sieht mir tief in die Augen, und würde mein Herz ihm nicht längst schon gehören, wäre es spätestens jetzt ganz und gar seins.
Dann sagt er mir, dass er dasselbe wie dies hier auf unserer Hochzeit machen will, und ich bekomme keine Luft mehr. Ich will weglaufen und mich verstecken, doch stattdessen klammere ich mich mit aller Kraft an meine Vernunft.
»Micha, ich …«
Er legt einen Finger auf meine Lippen. »Sag nichts, okay? Denk einfach eine Weile darüber nach. Ich rede ja nicht von sofort. Du sollst nur wissen, wie ich empfinde.«
Ich nehme seinen Finger von meinem Mund. »Ich muss das sagen, weil du wissen musst, wie ich empfinde. Ich kann das jetzt nicht.« Er wird sehr ernst. »Aber eines Tages, ja. Erst muss ich mich selbst in den Griff bekommen. Ich muss mit mir im Reinen sein, bevor ich dir mein ganzes Herz gebe.«
Er betrachtet mich nachdenklich. »Ich weiß nicht, ob ich richtig verstehe, was du sagen willst.«
»Ich sage, dass ich denke, wir sollten Freunde sein, bis ich herausgefunden habe, wie ich mit mir selbst klarkomme«, erkläre ich. »Ich will nichts tun, was dich verletzt, und im Moment weiß ich einfach nicht, ob ich das schaffe.«
Er zieht eine Braue hoch. »Du willst, dass wir Freunde sind? Ich bezweifle, dass das geht.«
»Es muss, und eines Tages, wenn ich meinen ganzen Mist verarbeitet habe, können wir mehr sein, falls du dann noch willst.« Ich hole tief Luft, und mir tut alles weh, als ich hinzufüge: »Sollte dir jemand Besseres über den Weg laufen, will ich nicht, dass du meinetwegen zögerst.«
»Keine könnte je besser sein als du«, erwidert er, und ich will widersprechen, doch er kommt mir zuvor: »Okay, wenn du das brauchst, dann machen wir es so. Wir können Freunde sein … eine Zeit lang.«
Er ist nicht komplett überzeugt, was ich auch nicht erwartet hatte. Schließlich ist Micha der entschlossenste Mensch, den ich kenne.
Ich küsse ihn auf die Wange, lege eine Hand auf seine Schulter und atme seinen wohltuenden Duft ein, während wir uns im Takt der Musik wiegen. Wir halten einander, und zugleich lassen wir uns los.
Kapitel 10
Micha
Es ist erst einige Tage her, seit Ella und ich von der Hochzeit abgereist sind, doch für mich fühlen sie sich wie Monate an. Wir telefonieren mehrmals täglich, trotzdem ist es anders zwischen uns, und mir fehlt ihre Nähe.
»Mann, ist das öde«, jammert Ethan, der sich durch die Kanäle zappt, die Stiefel auf dem Couchtisch. »Können wir nicht
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