Fuer immer Ella und Micha
die Arme vor der Brust und lehne mich auf dem Stuhl zurück. »Ich kapiere nicht, wieso du das sagst. Die letzten beiden Male, die ich dich gesehen habe, hast du mir ziemlich unmissverständlich klargemacht, dass ich dir egal bin und du nichts mit mir zu tun haben willst.«
Als er mehrere kleine Zuckertüten aufreißt und sie über seiner Tasse ausschüttet, zittern seine Hände. »Dinge ändern sich … manche Sachen passieren, und … nun ja, ich brauche deine Hilfe.«
Ich sehe ihn ungerührt an. »Behauptest du deshalb, dass dir leidtut, was du getan hast? Weil du etwas von mir willst?«
Er lässt die leeren Zuckertütchen auf den Tisch fallen. »Kann ich dir etwas bestellen? Möchtest du einen Kaffee?«
»Ich möchte, dass du mir verrätst, was du willst«, antworte ich kühl. »Denn ich bin verflucht neugierig, wohin diese Unterhaltung führen soll.«
Er rührt in seinem Kaffee und streicht den Löffel am Tassenrand ab. »Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.« Er legt den Löffel auf den Tisch. »Bei mir wurde vor Kurzem aplastische Anämie diagnostiziert. Weißt du, was das ist?«
»Sehe ich wie ein Arzt aus?«, antworte ich genervt.
»Tja, überspringen wir den langweiligen medizinischen Teil und kommen direkt auf den Punkt. Es ist eine seltene Krankheit, und bei mir ist sie offenbar sehr ernst.« Er studiert die Risse in der Tischplatte, hat die Stirn gerunzelt und tiefe Krähenfüße in den Augenwinkeln. »Ich brauche eine Blut- und Knochenmarkstransfusion, und ein Angehöriger eignet sich am ehesten als Spender.«
»Stirbst du?« Ich mustere ihn. »Für mich siehst du gesund aus.«
»Nein, ich sterbe nicht«, erwidert er eisig. »Aber ich bin auch nicht gesund, und diese Transfusion könnte mir helfen.«
»Was ist mit deinen anderen Kindern? Kannst du die nicht fragen?«
»Ich will ihnen das nicht zumuten. Sie sind zu jung und … sie sollen nicht mal erfahren, dass ich krank bin.«
Kochend vor Wut beuge ich mich vor und lege die Hände flach auf die Tischplatte. Die Stuhlbeine rutschen laut kreischend über die Fliesen. »Damit ich das richtig verstehe – du willst, dass ich dir Blut und Knochenmark spende, obwohl du seit Jahren nicht mit mir geredet hast? Du hast mich als Kind sitzen gelassen, und ich weiß bis heute nicht einmal, warum du nicht versucht hast, wenigstens mit mir in Kontakt zu bleiben.«
»Micha, ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut.« Er streckt eine Hand über den Tisch, als wollte er meine berühren, zieht sie aber gleich wieder zurück. Das ist klug, denn wahrscheinlich hätte ich ihn geschlagen. »Und diese Sache ist enorm wichtig. Ich bin krank.«
Ich schiebe den Stuhl weiter vom Tisch weg und stehe auf. »Ich muss darüber nachdenken.«
Er hebt seine Aktentasche hoch und steht ebenfalls auf. »Kannst du dich zumindest testen lassen, ob du als Spender infrage kommst? Solche Tests brauchen Zeit.«
In Momenten wie diesem wünsche ich mir, ich könnte ein Arsch sein und gehen. »Okay, ich lasse mich testen, aber nicht deinetwegen. Ich mache es bloß, damit ich kein schlechtes Gewissen haben muss.«
Ella
Fast zwei Wochen sind seit der Hochzeit vergangen, und Micha und ich telefonieren jeden Tag. Unsere Gespräche sind harmlos, abgesehen von gelegentlichen zweideutigen Bemerkungen seinerseits, aber die waren schon immer normal, auch als wir früher nur Freunde waren.
Ich vermisse ihn wahnsinnig und denke absurd oft an ihn. Er beherrscht meine Gedanken, meinen Körper, meine Träume – und treibt mich an, besser zu werden.
Es ist Mittag, die Sonne strahlt am blauen Himmel, und die Luft riecht nach frisch gemähtem Gras und nach Herbst. Ich gehe über den ruhigen Campus zum Büro meiner Therapeutin, das Handy am Ohr.
»Hast du nicht«, sage ich zu Micha und muss grinsen. »Du bist ein solcher Lügner.«
»Habe ich wohl«, entgegnet er amüsiert. »Ich habe meine Gitarre hingeschmissen und ihnen gesagt, dass ich raus bin – und dass es mir mit ihrem ewigen Theater reicht.«
Ich schwinge die Tür des Haupteingangs auf und trete in die große Halle. »Also hast du die Band verlassen, einfach so, nach Monaten mit ihnen auf Tour?«
»So etwas kommt öfter vor, als man denkt«, antwortet er. Ich höre Ethans Stimme im Hintergrund. »Übrigens bin ich schon seit einer knappen Woche raus, wollte es dir aber vorher nicht erzählen.«
Ich merke, wie ich den Mund verziehe, während ich mich auf einen Stuhl vor dem Büro der Therapeutin setze. »Warum nicht? Ich
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