Fuer immer Ella und Micha
raunt er mit tiefer Stimme. »Jetzt habe ich etwas, das mich später beflügelt, wenn ich mich um mich selbst kümmern muss.«
»Hauptsache du kümmerst dich auch selbst«, sage ich, worauf es am anderen Ende still ist. »Micha, bist du noch da?«
»Du weißt, dass ich das nie tun würde, oder?« Sein Tonfall ist sehr ernst. »Ich liebe dich viel zu sehr.«
»War nur ein Scherz.« Irgendwie jedenfalls. In letzter Zeit macht es mich unruhig, dass er so viel Zeit mit Naomi verbringt, vor allem weil sie in vielen der Geschichten vorkommt, die er mir erzählt.
»Ja, aber darüber scherzt du jedes Mal, wenn wir reden, und allmählich fürchte ich, dass du es doch glaubst.«
»Tue ich nicht«, widerspreche ich, obwohl ich ab und zu daran denke. Er ist Leadsänger in einer Band. Und sieht irre gut aus. Und ist wahnsinnig charmant. »Ich weiß, dass du mich liebst.«
»Gut, denn ich habe Neuigkeiten.« Er macht eine Pause. »Wir haben den Gig.«
Mir wird sofort mulmig. »Den in New York?«
»Ja … Ist das nicht großartig?«
»Riesig … Ich freue mich für dich.«
Wieder schweigen wir. Ich will etwas sagen, bin aber so traurig, dass ich keinen Ton rausbringe. Also starre ich ein Händchen haltendes Paar auf dem Campus an und denke daran, wie es sich anfühlt, das zu haben.
»Ella May, verrate mir, was los ist«, sagt er streng. »Machst du dir Sorgen, weil ich weg bin? Du weißt doch, dass du die Einzige für mich bist. Oder ist es … ist es wegen Grady? Wie kommst du damit klar? Ich habe nämlich keinen Schimmer, weil du nicht mit mir sprichst.«
»Es ist nicht wegen Grady«, sage ich hastig, weil ich das Thema erst recht nicht besprechen will. »Es ist bloß … Es ist so weit weg, und ich sehe dich sowieso schon kaum.« Ich lehne mich an einen Baum. »Du kommst doch noch am Wochenende her, oder?«
Er atmet langsam aus. »Die Sache ist die, dass wir morgen losfahren müssen, wenn wir rechtzeitig in New York sein wollen. Und ich würde ja heute Abend kommen, um dich zu sehen, aber wir haben einen Auftritt.«
In mir verknotet sich alles, aber ich bleibe äußerlich ruhig. »Wie lange bleibst du in New York?«
Er zögert, bevor er antwortet: »Ungefähr einen Monat.«
Meine Hände zittern vor Wut oder Angst … welches von beidem es ist, weiß ich nicht genau. »Also habe ich dich schon fast einen Monat nicht gesehen, und jetzt können wir uns noch einen Monat nicht treffen?«
»Du kannst mich in New York besuchen«, schlägt er vor. »Du könntest hinfliegen, zum Beispiel, für eine Woche oder so.«
»Ich bin mitten im Semester«, antworte ich beleidigt. »Und dann ist die Hochzeit meines Bruders nächsten Monat, und für die brauche ich alles, was ich an Geld übrig habe.«
»Ella, komm schon!«, ruft Lila, und ich sehe zu ihr. Sie winkt, dass ich rüberkommen soll. Neben ihr steht Blake, die Hände in den Jeanstaschen vergraben. »Blake wartet!«
»Wer ist Blake?«, fragt Micha neugierig.
»Nur jemand aus meinem Kurs«, erkläre ich, stemme mich vom Baum ab und gehe auf Blake und Lila zu. »Hör mal, ich muss Schluss machen.«
»Ist auch wirklich alles okay?«
»Ja, Lila wartet nur auf mich.«
»Okay … Ich rufe dich dann nach dem Auftritt an.«
»Ja, gut.« Ich lege auf und merke, dass ich vergessen habe, mich zu verabschieden. Aber ich hätte sowieso kein »Bye« über die Lippen bekommen. Es ist, als würden wir einander entgleiten, und Micha ist derjenige, der mich aus meinem tiefen schwarzen Loch geholt hat. Wenn er mich verlässt, stürze ich vielleicht wieder ins Dunkle.
Micha
»Fuck!« Ich lege auf und trete gegen den Reifen des Band-Geländewagens. Er steht mitten auf dem Parkplatz eines beschissenen Motels im miesen Teil der Stadt, wo sich Crack-Süchtige herumtreiben und sämtliche Häuser mit Graffiti besprüht sind. Dagegen sieht Star Grove richtig nobel aus.
Mir gefällt nicht, wie traurig Ellas Stimme geklungen hat. Sie kämpft immer noch mit ihren persönlichen Dämonen, Gradys Tod und dem ihrer Mom. Und sie öffnet sich mir nach wie vor nicht ganz. Mir geht der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass sie wieder verschwinden könnte.
Ein Wagen hat eine Fehlzündung, als ich zurück zum Motelzimmer gehe. Auf der Treppe muss ich um einen Mann herumgehen, der es gerade mit einer Frau treibt – wahrscheinlich eine Nutte.
Ziehe ich ernsthaft das hier Ella vor? Manchmal frage ich mich, warum.
»Wow, du siehst aber echt angepisst aus«, bemerkt Naomi vom Bett aus, als ich die
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