Für immer, Emily (German Edition)
aber sie sehnte sich nach einem Moment Ruhe. Sie zog ihr Handy aus der Tasche, um ihrer Cousine eine Nachricht zu schicken.
‚ Liebe Mara, bin völlig kaputt, es ist anstrengender für mich, als ich erwartet hätte, werde ein wenig an die frische Luft gehen, bitte sei nicht sauer. Emily.‘
Sie schickte die SMS ab und steckte das Handy wieder weg. Dann griff sie nach ihrer Tasche und trat hinaus in den Flur. Überall wimmelte es von jungen Menschen, die gen Cafeteria strömten. Sie senkte den Kopf und bahnte sich ihren Weg, dabei fühlte sie, wie ihre Hände zitterten. Die Leute um sie herum schnatterten und unterhielten sich, und so mancher sah das fremde Mädchen neugierig an, denn so groß war die Schule hier nicht, dass neue Schüler nicht auffallen würden.
Ihr war klar, dass sie keinen besonders positiven Eindruck hinterließ, wenn sie mit gesenktem Kopf hier durch die Gänge rannte und nicht nach links und rechts schaute. Es fiel ihr schwer, Ruhe zu bewahren, wenn sie angeschaut wurde, und vor allem, wenn sie von Fremden berührt wurde, auch falls dies unbewusst geschah.
Sie atmete erleichtert auf, als sie den Hof erreichte und ein leichter Windhauch über ihre Haut strich. Zum Glück war es relativ leer hier, denn die meisten waren drinnen beim Mittagessen. Die Sonne hatte sich wieder verzogen, es sah nach Regen aus. Sie lief quer über den Hof und setzte sich auf eine der Bänke. Eine große Buche stand dahinter und gab ihr ein Gefühl von Schutz.
Sie stellte ihre Tasche neben sich und ließ den Blick über das weitläufige Gelände schweifen. Es war sehr schön hier. Es gab Grünstreifen, die zwischen gepflasterten Wegen entlang führten, Bäume, die an heißen Tagen Schatten spendeten, aber auch für die jüngeren Schüler war genug Platz vorhanden, um sich auszutoben. Eine heile Welt sozusagen. Emily verzog das Gesicht zu einem bitteren Lächeln. Sie hatte auf dramatische Weise erfahren müssen, wie schnell heile Welten zerbrechen konnten. Unwiderruflich zerbrechen konnten, und nichts und niemand würde sie jemals wieder ganz machen können.
Sie schloss kurz die Augen und lauschte dem Zwitschern der Vögel in den Bäumen. Diese Geräusche gaben ihr das Gefühl von Frieden und Freiheit. Einer Freiheit, die sie in einer mondlosen Nacht verloren hatte und die eingetauscht wurde gegen ein Gefängnis aus Angst. Sie hatte nichts getan, musste aber büßen, und vielleicht würde sie niemals damit fertig werden. Niemand konnte sich vorstellen, wie es war, wenn die Nächte zu ewigen Albträumen wurden, wenn man bei jedem noch so kleinen Geräusch vor Panik erstarrte und sich vor den Schatten fürchtete, die einen überallhin verfolgten.
Die Angst, sie folgte ihr überall hin. Sie ging mit ihr abends ins Bett, blieb die Nacht über in ihren Träumen oder hielt sie stundenlang wach. Sie ging mit ihr am Morgen unter die Dusche, stand hinter ihr beim Zähneputzen und folgte ihr bei ihren Spaziergängen mit Ben. Sie war immer und überall an ihrer Seite. Und manchmal hatte sie das Gefühl, es nicht mehr ertragen zu können. Dann wünschte sie sich nur noch eines – Ruhe. Ruhe und Frieden.
Oder jemanden, der ihr helfen würde, die Schatten abzuwehren, der sie an die Hand nehmen und mit ihr diesen steinigen Weg gehen würde. Jemanden, der sie mit all ihren Ängsten und Unzulänglichkeiten lieben könnte, der stark war, wo sie es im Moment nicht sein konnte. Jemanden, dem sie absolut vertrauen konnte und der sie zu nichts drängen würde.
Aber so jemanden würde sie nicht finden ... und selbst wenn, vermutlich würde sie dann diejenige sein, die alles kaputtmachen würde, weil sie keine Nähe und keine Berührungen ertrug. Also, wie sollte das gehen? Wer wäre so besonders, um ihr all diese Ängste nehmen zu können? Wer wäre bereit, zuerst mit ihr gemeinsam die dunklen Stunden zu ertragen, um dann vielleicht irgendwann den Weg ins Licht zu finden? Sollte es normalerweise nicht umgekehrt sein? Dass eine Beziehung sich erst festigen konnte, um dann stark genug zu sein, die Stürme des Lebens zu überstehen?
Sie seufzte und öffnete die Augen wieder. Was sie wieder für einen Blödsinn dachte. Am Himmel hatten sich mittlerweile dunkle Wolken zusammengezogen, und es würde vermutlich nicht mehr lange dauern, bis die ersten Tropfen fielen. Sie bückte sich, öffnete ihre Tasche und holte das Sandwich und eine Wasserflasche heraus. Ihr Magen knurrte nun doch ein wenig, und die Sandwiches ihrer Tante waren sehr
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