Für immer, Emily (German Edition)
ihren Körper gebohrt hatte.
Ihre langen blonden leicht gelockten Haare fielen ihr bis weit über die schmalen Schultern und ihre blauen Augen verrieten den Kummer, der ihr das Leben so schwer machte. Sie war zierlich und hübsch. Eben so, wie die meisten Mädchen hübsch waren. Doch im Moment fühlte sie sich wohler, je unscheinbarer sie wirkte. Sie betrachtete noch einige Sekunden ihr Spiegelbild und drehte sich dann langsam um. Dieses Mädchen im Spiegel, sie hasste es. Sie hasste es, weil sie dieses Mädchen offenbar reizvoll genug gefunden hatten, um ihm das anzutun. Sie schüttelte den Kopf und murmelte: „Lass das jetzt. Du bist hierher gekommen, um sie abzuschütteln, aber du lässt es immer noch zu, dass sie allgegenwärtig sind. Sie werden dich zerstören, sie würden es noch aus dem Grab heraus schaffen, dich kaputt zu machen, weil du sie lässt.“
Sie blieb am Rand der Treppe stehen und strich sich müde über die Stirn. Wie gerne würde sie alles vergessen und einen Schnitt machen, aber wie? Das sagte ihr die blöde Stimme in ihrem Kopf nicht. Diese besserwisserische Stimme, die ihr zuflüsterte, was alle sowieso dachten. Nämlich, dass es an der Zeit war, endlich damit abzuschließen, was in dieser schwülen Spätsommernacht vor etwas über einem Jahr passiert war.
Als ob sie es nicht versuchen würde. Als ob sie sich nicht wünschen würde, wieder ein normales Leben führen zu können. Als ob sie glücklich wäre, mit der ewigen Angst und den immerwährenden Albträumen. Die hatten doch alle keine Ahnung.
Emily senkte den Kopf und lief die Treppe nach unten. Sie war schon von jeher ein stilles, scheues Mädchen gewesen, sie besaß nicht diese Kraft und die Stärke, die man vermutlich brauchte, um an so einem Vorfall nicht zu zerbrechen. Ihre Mutter sagte ihr zwar immer wieder, dass sie nicht so denken dürfe, sie wäre sehr wohl stark, denn sie wäre nicht daran zerbrochen. Sie würde immer noch aufstehen, an jedem einzelnen Tag, und sie könne verdammt stolz auf sich sein. Aber vermutlich mussten Mütter so etwas sagen.
„Ben, komm! Wir müssen los.“
Emily griff nach ihrer Tasche, und Ben kam mit Riesensätzen angerannt. Sie lachte.
„Du machst hier noch mal alles zu Kleinholz. Hier ist nicht so viel Platz wie bei uns zuhause. So, komm, ich bringe dich jetzt zu Tante Dorothy. Eigentlich müsste ich noch etwas frühstücken, aber ich fürchte, ich bringe keinen Bissen hinunter. Wehe, du verpetzt mich bei ihr.“
Sie zupfte ihn spielerisch am Ohr und er stieß ein Brummen aus. Sie war glücklich, dass Ben hier bei ihr war, ohne ihn hätte sie sich völlig verloren gefühlt. Sie hatte ihn schon seit er ein winziger Welpe gewesen war, und sie liebte ihn sehr, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruhte. Mittlerweile war er ein stolzer Rüde von bald vier Jahren, und sie konnte sich ihr Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen.
Sie hatte mit ihrer Tante verabredet, dass Ben die ersten Tage, wenn sie in der Schule war, bei ihr verbringen würde, bis er sich hier im Haus heimisch genug fühlte, um alleine bleiben zu können. Sie legte dem Hund die Leine an und gleich darauf liefen sie die wenigen Schritte zum Haus ihrer Tante und deren Familie.
K apitel 2
Ihre Cousine Mara stand bereits an der Tür des hellgelb gestrichenen, einladend wirkenden Einfamilienhauses und winkte Emily zu.
„Emily, da bist du ja. Hallo Ben, du Süßer. Wir warten schon. Andrea möchte unbedingt neben ihrem Schwarm Casey sitzen.“
Sie verdrehte die Augen, und im nächsten Moment tauchte ihre jüngere Schwester hinter ihr auf und knuffte sie in die Seite. „Blöde Zicke. Musst du alles weitertratschen?“
Andrea blitzte ihre Schwester wütend an.
Die grinste. „Was denn? Stimmt doch.“
Sie zwinkerte Emily zu, und die musste lächeln. Es war unglaublich, wie ähnlich sich ihre beiden Cousinen sahen. Sie hatten beide glatte dunkelbraune Haare und braune Augen. Es waren sportliche Mädchen, die eindeutig mehr mit der Familie ihres Vaters gemein hatten als mit der ihrer Mutter.
Dorothy erschien hinter Andrea und wischte sich die Hände an einem Küchentuch ab.
„Guten Morgen, Emily. Na, schon aufgeregt?“ Sie küsste ihre Nichte auf die Wange und strich Ben über den dicken Kopf.
„Guten Morgen. Na ja, ein bisschen bin ich schon aufgeregt.“ Emily senkte den Kopf. Ihre Tante wechselte einen
Weitere Kostenlose Bücher