Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
Vom Netzwerk:
Sarah bekannte sich offen dazu, daß sie »gern mit den beiden abhängt«, obwohl Christina und Valerie erst sechzehn und fünfzehn waren. Christina sah allerdings reifer aus, Valerie dagegen niedlich genug, um als Zwölfjährige durchzugehen – aus diesen beiden physiognomischen Altersunschärfen ergaben sich je nach Situation für Sarah sogar bescheidene Vorteile, besonders beim Flirten in Clubs, auf Jahrmärkten, in der U-Bahn oder an Imbissbuden.
    »Erwachsen« hieß, hatte Valerie rausgefunden, daß man zwar immer noch haushalten mußte mit dem, was man hatte – Geld, Bekanntschaften, Talente –, dieses Haushalten aber irgendwie ernster wurde, zugleich bizarrer, als die analoge soziale Kontoführung einer Fünfzehnjährigen. Das ganze Erwachsenendasein kam ihr vor wie eine Art mit hoher Aufmerksamkeit gelebter und ausgehaltener Traum. Wann immer sie sich in die Zeit nach dem Abitur vorausdachte, meldete sich eine Erinne rung, die ihr versinnbildlichte, wie das werden würde. Diese Erinnerung be­zog sich auf einen sehr merkwürdigen Abend.
    Sarah hatte Valerie am Samstagmittag per Handy angerufen und ihr mitgeteilt, daß die (erwachsene) Bekannte einer (ebenfalls erwachsenen) Bekannten in einem »eher nicht so hippen Wohnviertel« der Stadt »heute abend um zehn« eine Party veranstalten würde. Zu Besuch bei den echten Mittzwanzigern, cool!
    Valerie hatte ihre Eltern mit routiniert händeringendem Gebettel dazu gekriegt, ihr zu erlauben, ausnahmsweise bis zwölf dort zu bleiben, also erst um halb eins mit einer der letzten S-Bahnen nach Hause zu kommen.
    Christinas Eltern waren weniger aufgeschlossen. Daher traf Valerie am Burger King unweit der zur Partywohnung nächstgelegenen Station bloß Sarah.
    Mit der ging es durch Straßen, deren Fenster in lauter hohen, ver braucht nachtgrauen Wohnblockhäusern allesamt nicht erleuchtet waren: »Kann das sein, daß die schon alle schlafen? Um zehn, am Samstagabend?« wunderte sich Valerie. Aus dem Viertel, wo sie lebte, kannte sie das nicht – die Studenten, Architekten, Therapeuten und Fernsehdramaturgen, die da wohnten, hatten das Licht fast immer noch an, wenn Valerie ihres löschte und dann, wie in den meisten Nächten, kurz vor dem Zubettgehen noch einmal ans Fenster trat, um zu sehen und zu spüren, daß das um sie herum eine richtige Stadt war und nicht einfach irgendeine Gegend.
    »Na ja, hier wohnen schon viel alte Leute.« Sarah zuckte mit den Schultern.
    »Aber um zehn? Am Samstag? Schau mal, hier ist das ganze Haus dunkel!«
    »Ja, äh … vielleicht sind die Wohnzimmer auf der anderen Seite?«
    Klar: Das hier mußten alles Küchen- und Schlafzimmerfenster sein. Wenn die Wohnungen, wie Valerie ältere Freunde von Sarah öfter hatte sagen hören, so »geschnitten« waren, dann bedeutete es nichts Schlimmes, daß nirgends Licht brannte. Trotzdem: unheimlich.
    »Was ist das eigentlich für eine Party, wo wir da hinwollen?« erkundigte Valerie sich nach weiteren zehn Metern stummen Weges durch die stille lange Straße mit den obskur geschnittenen Wohnungen.
    »Die Frau zieht aus oder sowas, hat Jordis erzählt … Jordis ist diese Freundin von mir, studiert … und diese Frau da, die studiert mit ihr, und muß am Montag da ausziehen oder so, deshalb die Party. Jetzt müssen wir mal schauen – was war die Hausnummer? Neunundachtzig … hier ist sieben- und -achtzig, siehste … ah ja.«
    Ein einziges Fenster des arg unlebendigen Altbaus vor ihnen mahnte stumpfgelb, wie ein Notsignal an Außerirdische, direkt im ersten Stock. Über dem dazugehörigen Balkon hing ein wahrscheinlich regenbogenbuntes (das war im Straßenlaternenlicht nicht richtig auszumachen) Tuch, auch eine große Decke.
    Sarah und Valerie traten an die Haustür. Sarah läutete bei »Schöne«.
    Eine Stimme, gegensprechanlagenverzerrt, fragte gut aufgelegt: »Hallo ja?«
    »Ja, hier ist Sarah, die Freundin von Jordis. Ich hab’ noch wen mitgebracht.«
    »Alles klar!« freute sich die Fremde. Ein Türsummer wurde betätigt – immerhin, dachte Valerie, die wegen der dunklen Häuser nach wie vor leicht angegruselt war, haben sie eine richtige Schließanlage hier, es ist also nicht wie in Horrorfilmen, wo der alte befrackte Diener mit dem Leuchter in der Hand die schwere Eichentür von innen aufmacht und dann …
    Sarah und Valerie gingen die krummgetretenen Treppenstufen im engen Treppenhaus hoch und wurden an der Tür von der ausgelassenen Stimme begrüßt, die zu einer blonden Frau

Weitere Kostenlose Bücher