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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Valeries Ankunft da gewesen war, begann jetzt, während die Radioplätscherbegleitung von Achtziger-Geklingel zu Neunziger-Technogestampfe überging, von seinen Wanderurlaubserlebnissen in Westengland zu erzählen: »Da kann man überall langlaufen, es gibt Pfade, man hat auch einfach Wegerecht … oder wie das heißt. Zäune sind nicht verbindlich. Meine Eltern haben einen Bauernhof in Schleswig-Holstein, die würden jeden erschießen, der ihnen einfach so übers Feld stolpert, aber da in Westengland ist das normal. Alles sehr hügelig, nah an der Küste, und jeweils in Abständen von einem Tagesmarsch findet man immer ’ne Herberge, einen Backpack-Schuppen, ein Youth Hostel oder Bed & Breakfast. Als ob sie genau wüßten, wie weit man so kommt als Tourist an einem normalen Tag, als ob es staatlich geplant wäre. Nur das Essen da, das ist nicht so gut, das kann man in die Tonne treten – selbst England-Pädophile behaupten ja nicht, daß das Essen in England besonders gut wäre.«
    Fast alle im Raum, Valerie inklusive, stutzten über diesen Satz. Gastgeberin Sophie, inzwischen mit schwerer Weißweinzunge, hakte nach: »Was … was meinscht du, England-Pädophile?«
    »Na ja …«, verteidigte sich matt der Urlaubserlebniserzähler, dem dämmerte, daß er sich auf ein Fremdwort eingelassen hatte, das ihm nicht so recht gehorchen wollte, »ich mein’ … so Leute, die halt England lieben und für das größte halten … England-Pädophile …«
    »England-Pädophile halt, Mann«, ergänzte und besiegelte Sarah das Unglück des Schwätzers, durchaus gehässig. »Sei nicht so typisch«, lachte Valerie, aber niemand sonst fand das lustig, und ob Sarah wenigstens mitgrinste, war nicht zu erkennen.
    Jordis’ Freund hatte unterdessen offenbar mit Jordis die Köpfe zusammengesteckt, soweit Valerie das im Zwielicht ahnen konnte. Man tuschelte wahrscheinlich darüber, wie man hier rauskam, aus dieser ­Party­falle, möglichst schnell. Warum, fragte sich Valerie erneut, taten sich die Älteren das überhaupt an? Aus Mitleid mit Sophie? Wegen der morschen Balken? Oder war’s ein unbestimmter Effekt des Überrumpeltwordenseins?
    Sophie lenkte mit neuen nordischmorschen Geschichten von der England-Pädophilenzwickmühle ihres Gastes ab. Ein Kater erschien – Jordis’ Freund spürte ihn zuerst, am Schienbein, dann nahm Sophie ihn vom Boden hoch. Er schnurrte in der Rabenschwärze, ein kleiner elektrischer Rasierapparat für Damen. Die Rave-Randalierer von Scooter brüllten kop fl os aus dem Radio, zu unmenschlichem Beat. Es war allmählich soweit ganz nett hier, und daß sie das spürte, beunruhigte Valerie: Ist das Spinnenlähmgift, was mir allmählich in die Glieder sickert? Ist diese Sophie vielleicht eine Gottesanbeterin, die uns alle fressen will?
    Noch einmal zwanzig Minuten vergingen, bis endlich Sarah sich ein Herz faßte: »Ja, ich glaube, Valerie muß allmählich heim. Ihre Alten sind streng … und ich bin heut einfach müde, zu nix zu gebrauchen … Ist o.k., oder?«
    »Tut mir leid, daß es so langweilich ischt …«, jammerte Sophie gespielt, also in Wirklichkeit böse fröhlich. Valerie beschloß, mit beachtlicher Verspätung, diese Frau nicht zu mögen, kein bißchen, im Gegenteil. Die war einfach bekloppt, das hatte nichts Charmantes, was immer die Erwachsenen denken mochten.
    Unter viel Geruckel, Gestoße und Gezupfe brachen Sarah und Valerie in der Finsternis und aus ihr auf.
    Natürlich war Valerie nach dem gotischen HockIn nicht sofort nach Hause gegangen, sondern hatte, wie um sich des Fortbestands einer verstehbaren Welt außerhalb der sozialen Dunkelkammer dieses verelendeten Erwachsenseins zu versichern, Sarah überzeugt, noch mal bei Burger King vorbeizuschauen. Tatsächlich schloß sich auf diese Weise der angeeierte Kreis dieser Nacht: Denn da hatten sie dann ein paar knappe, gutmütige Witze ausgetauscht, nichts ätzendes, einfach, um einander die Verarbeitung des erlebten Unsinns zu erleichtern, als Freundinnen. Vor allem der »England-Pädophile« bekam sein Fett weg.
    Am Ende war Valerie einigermaßen beruhigt heimgelaufen.
    Was bei ihr blieb, war allerdings der Eindruck, daß es nicht etwa, wie in Erzählungen älterer Freundinnen, auch Sarahs, von Drogen und durchgemachten Nächten, irgendwo draußen , außerhalb des Alltags, den Valerie kannte, sondern vielmehr in dessen Mitte, in angefressenen Kam mern des innersten Innern der Stadt, gut verschlossen, etwas Schwieriges, für

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