Für immer in Honig
Geysiren. Als die beiden letzten noch nicht Gefällten sich in die Büsche schlagen wollten – der eine hatte einen Fetzen von Roberts Ohr am Kinn kleben, der Magen der andern war gefüllt mit Blut aus Roberts Schlagader –, nagelte ein Eispickel, der ihr durch beide Wangen schoß, die Frau ans graue Fußballtorwandbrett, und eine kleine Feueraxt aus Peter Thiels Bergsteigergurt spaltete den Schädel des Ohrendiebs, ging ihm durch Kopfhaut und Knochen bis ins verschrumpelte Gehirn.
Valerie schritt über die blutige Wippe und stand dann, die Füße in zwei roten Pfützen, furchtbar über ihren zusammengekauerten Eltern.
Mitleid war nicht unmöglich. Sie sah, wieviel absurde Wut in ihm und um ihn zappelte, die meist kaum etwas anderes als noch mehr Wut von außen an ihn herankommen ließ, Wut auf sich selbst, auf die Jungs, Wut auf den Job, die Ehefalle, die Tochter und die Frau, weil die nicht lebte, sondern nur zusammengehalten wurde von eisernen Reifen, Spangen, Bügeln und Sperren. Sie sah, wie ihre Mutter das zweite Leben erlebte, das die Technik ihr ermöglicht hatte: nicht so berauschend, ehrlich gesagt.
Unterm Blick der Richterin sanken Peter und Margarete mit den Köpfen gegeneinander. Valerie hob die Hand.
Ihr Vater, den sie immer sehr viel mehr gemocht hatte als er sich selbst, sagte mit dünner, verbrauchter Stimme: »Bist du … kannsssst du … die Messsser?«
»Ich bin nicht die Messer. Ich bin auch nicht Robert Rolf und keine Hexe. Ich bin keine Sachen und andern Leute, weil es Sachen und andere Leute in der verkehrten Welt noch gar nicht gibt. Die müßte man erst machen. Ich bin eine W. Das ist alles.«
»Muhhhg … schhrrrchh«, schnarchte ein Troll, der in der Brust der Mutter unruhig schlief, während die Mutter selbst wach war. »Nochmnnn … noch gar … nmniicht … gibt …?« flüsterte der Vater.
Valerie schüttelte traurig den Kopf: »Nee, echt nicht. Es gibt keine Hauptsachen. Nur das, was passiert – man kann es erleiden oder selber machen. Wenn die Welt nicht verkehrt wäre, wüßten das alle, es gäbe nur noch Lebende und ihr Lebendiges, Personen und Sachen.«
Ein vierzig Zentimeter langer Eisenstift aus ihres Vaters Sammlung flog durch die Luft in Valeries erhobene Hand. Ihre Finger, die stark schmerzten, schlossen sich darum. Vaters Gesicht sank gegen die Wange der Mutter.
Schöninchen trat noch einen Schritt näher, beugte sich über die beiden, weil sie wußte, daß sie das Nötigste nicht aus der Ferne tun durfte, sondern mit eigenen Händen machen mußte. Sie stieß also ein paar Mal mit dem Eisenstift nach unten, in die beiden Stirnen, es ging ganz leicht.
Sofort knickte das Feindliche ein, fielen die Köpfe zurück in den Schlamm und ins schmutzige Gras. Zwei Augenpaare, weit geöffnet, schauten nach oben. Der Himmel war ausgeblutet, in breitem, sü ffi gem Geschmier brach eine tiefere Nacht aus dem Wald als zuvor.
Valerie ging von den toten Eltern weg.
Zwischen den Spuren des Gemetzels das sie angerichtet hatte, ging sie hin. Dann fiel sie in den Schlamm, schlug noch mal mit den Fäusten, diesmal bebte die Welt nicht davon. Valerie fing ruhig und richtig an zu weinen, um alles mögliche, um Torsten, Stefanie, Robert, der sogar immer noch ein bißchen lebte und dessen letzte Gedanken um das Wunder kreisten, daß alles, woran er sich erinnern konnte, in Valeries Kopf sein würde, ja: vorhin schon gewesen war, ohne daß er hätte ahnen können, wann das gewesen wäre.
Valerie kroch auf den Sterbenden zu und sagte ihm: »Ich weiß … ich weiß schon, ich muß zum Rondell und … zu Philip, ich muß verhindern … daß … ich muß deine Aufgabe … du sein … deine Sache, die du nicht … die du vergessen und … und verraten hast. Mensch, Robert. So … so eine schreckliche … Scheiße hier, was?«
Sie lachte, rutschte auf den Knien im Matsch, im Blut herum, Innereien und Gliedmaßen streiften ihre Haut, wo die Hose aufgeschlitzt war und die Fesseln von Bissen fast durchtrennt waren. Sie patschte mit den Handflächen in den Wasser- und Blut- und Schlammlachen herum, heulte ein wenig und schrie, brüllte mal kurz wie vorhin ihr Vater und schüttelte wild den Kopf. Während sie aber das tat, waren aus den Tränen plötzlich Tränen der Erleichterung geworden. Sie fühlte sich hoch erhoben, befreit. Sie war wach.
Schöninchen, bei sich wie noch nie, wußte endlich genau, wie alles weitergehen mußte: erwachsen erwacht.
»Nee, ich … tut mir so leid, aber ich
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