Für immer in Honig
Vor-den-Zug-Springen, ob das weh tut, und wie doll, wie lange. Oder Neunzehnhundertachtundneunzig: das Geheimnis der blauen Hose. Reicht das?«
»Du kannst … Gedanken lesen? Meine Gedanken, und Erinnerungen?«
Valerie stand auf und ging unsicher staksig zu ihm, streckte ihm eine Hand entgegen, geöffnet: »Geld, Dieter. Stefanie hatte leider nur wenig dabei, und die Karte funktioniert irgendwie nicht, obwohl ich die Geheimzahl weiß. Geld. Eine Menge. Ich muß eine Reise anfangen, eine sehr weite Reise.«
»Was für eine … Das ist doch … Nee, echt jetzt: Ist doch alles Blödsinn.«
Dieter Fuchs schüttelte den Kopf: Vielleicht hüpft das Gehörte ja wieder zu den Ohren raus, wenn man nur heftig genug schüttelte.
»Eine Friedensmission, könnte man sagen. Also: Habt ihr Geld im Haus? Weißt du, du solltest echt zusehen, daß ich verschwinde. Die Schweine werden sehr bald alle Verbindungen zusammengepuzzlet haben, auch wenn Sarah und Christina ihnen nichts verraten. Spätestens wenn jemand die Sauerei auf dem Spielplatz findet, geht es richtig ab. Ich hätte nie von Philip und Jenny weg dürfen, ich hätte nie warten müssen, bis mich ein Schöninchen, das zufällig eine W ist, ans Wichtige und Wahre erinnert, ich hätte …« Sie wandte sich von ihm ab und wischte sich mit der verletzten rechten Hand kurz die Augen aus.
Als sie sich gefasst hatte, lächelte sie Dieter an und sagte: »Valerie läßt mir ziemlich viel Platz hier drin, weißt du. Ich komme mir vor, als wäre ich noch mit mir identisch, obwohl mir einer ein Ohr abgekaut hat, ganz wörtlich, und eine andere Zeug aus dem Leib gepult hat, Leberwurst. War echt nicht mein Tag bis jetzt, Dieter. Lieber würde ich mich von dir wieder bei Spock einstellen lassen, als diese Erfahrung zu wiederholen. Fuck: Alles nur, weil Michi Beer und ich deinem Foucault die Zunge rausstrecken wollten, die Zunge von Valerie Thiel. Mission accomplished, würde ich sagen.«
Dieter war wütend: »Du bereust keine Sekunde, daß du Stefanie dazu gebracht hast, Gift zu löffeln, was?«
»Das war in einem anderen Leben, weißt du. Ich hatte kein Recht dazu, das stimmt schon. Aber Schlimmeres trifft andere, während wir hier rumlabern. Leute, die auch nichts Böses getan haben. Überall und in jeder Sekunde: So geht das Spiel, das deshalb endlich wer gewinnen sollte, sonst ist der Einsatz demnächst aufgezehrt.«
»Ich verstehe kein Wort. Ich sollte dich … ich sollte dich hier festhalten.«
Dieter kam die Drohung selber dämlich vor.
»Geld, Dieter.«
Er gab es ihr.
Nichts von dem, was sie gesagt hatte, ergab einen Sinn, nicht einmal die drei Geheimnisse seines Innenlebens, die sie mit abscheulicher Beiläufigkeit ausgespuckt hatte, um dafür einzutauschen, was sie haben wollte.
»Viel Glück, Dieter«, sagte Schöninchen, als er ihr die Tür öffnete und sie die Wohnung verließ, mit seiner Reisetasche in der Hand, in ihren zerrissenen Hosen, von denen hoffentlich das Paar Gummistiefel, das Dieter gehörte, einer von Stefanies Pullis und ihr alter Mantel ein bißchen ablenkten.
»Weißt du, was überhaupt das Ärgste ist?«
Er verzog den Mund, um anzudeuten, daß er’s nicht wirklich wissen wollte.
Sie teilte es ihm trotzdem mit: »Da, wo ich hinfahre, spielt Glück überhaupt keine Rolle mehr. Das ist das Ärgste, Dieter. Gib Stefanie einen Kuß von mir, auf die Nase, das mag sie.«
»Geh zum Teufel«, sagte Dieter albern melodramatisch, als er die Tür hinter ihr schloß, und hörte sie auf der Treppe sagen: »Das werd’ ich, Dieter. Keine Sorge. Genau da will ich hin.«
4 Als die Schweine die kleine Wohnung gefunden hatten, in der Sarahs und Christinas Versuch fehlgeschlagen war, Torsten davor zu bewahren, sich dem Tod an den Hals zu werfen, hielten Sarah und Christina einander bei den Händen. Sie ließen nicht los bis zum Ende, als man sie zu Boden geworfen hatte, ihnen mit schwarzen, auf Hochglanz gewichsten Stiefeln ins Kreuz getreten hatte und aus gestreckten Pistolenläufen, die den Knall der jeweiligen Entladung auf mittlere Zimmerlautstärke dämpften, je zwei Kugeln in ihre Köpfe schoß, anstatt sie, wie vor vierhundert Jahren ihresgleichen, im Rahmen einer festlichen Veranstaltung, bei der die ganze Gemeinde Zeuge sein durfte, an dicke Pfähle zu binden und mittels Entzündung sorgfältig aufgeschichteter Holzkegel im Laufe mehrerer Stunden gründlich zu verbrennen.
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Bedauerlicher Vorfall auf dem Kalten Markt •
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