Für immer in Honig
liebe dich nicht, Stefanie«, rief sie laut in den Wind, »und auch nicht den armen Hund hier, Robert … Aber ich liebe mich selber … weil ich das so viel besser kann … viel besser … als ihr.«
3 So was Ärgerliches.
In amerikanischen Serien und Kinofilmen, grämte sich Dieter Fuchs, ist ein Süßigkeiten- und Chipsautomat immer in der Nähe an so einem Ort, wie das Kruzifix im bayerischen Herrgottswinkel, Product Placement des Schicksals. Und hier? Puste… wie heißt das? Blume? Kuchen? So was.
Dieter fuhr sich mit sandpapiertrockener Hand über den kahlrasierten Schädel, zupfte und zwirbelte sich dann ruhelos den Bart, sah auf den hunderttausendmal blankgewischten Klinikboden hinunter. Er ärgerte sich über sich selbst, darüber, daß er nicht mehr rauchte und seit zwei Jahren auch keine Süßigkeiten mehr aß. So nämlich blieb ihm, in dieser Lage, nur das Nägelkauen. Schreckliche klinische Bilder fielen ihm andauernd ein, die er sich vor ein paar Jahren über mehrere Wochen angeschaut hatte, zur Vorbereitung eines Vortrags über das Tanzen auf Gräbern, nein anders: über die Genealogie bildgebender Verfahren in Naturwissenschaften und Medizin. Das war für so einen Kongreß gewesen, über das längst noch nicht abgegraste Befund- und Ideenumfeld von Foucauldianischen Analysen Sorte »Geburt der Klinik«: Wie grausig körnig sieht doch so ein Rheumatidgranulom aus, ein gallertroter Magenulkus … Süßigkeiten? Nein, danke.
Dieter hatte Stefanie wenigstens kurz gesehen, umstanden von Ärzten und Schwestern, beklebt mit Sonden, die ihre riskant verlangsamte Herzfrequenz aufzeichneten. Er wäre gern bei ihr sitzen geblieben, hätte gern ihre Hand gehalten, ihr Mut zugesprochen. Sie konnte ihn nämlich sogar hören, wenn er die Ausführungen des bedächtig sprechenden Professors recht verstanden hatte. Aber die fülligere der beiden Schwestern, die mit dem Kinn aus Granit und der wulstigen Braue, hatte ihn verscheucht.
Im Rausgeschobenwerden war ihm trotzdem etwas Trost zugeflogen – leicht geistesabwesend hatte der Professor gemurmelt: »Wenn das stimmt, die hämatologischen Werte, dann ist sie gar nicht so schlecht dran. Und wird sich wieder ganz erholen. Vielleicht schon übermorgen. Ich komme gleich noch mal raus zu Ihnen.«
Deshalb saß Dieter hier, ein ambulanter Witwer.
Gar nicht lustig: Fast hätte mich Stefanie verlassen.
Nicht nur in Richtung ewige Jagdgründe, nein, es gab auch noch eine demütigende Variante: Verlassen hätte sie mich nämlich vor allem, wenn die Katastrophe von heute abend nicht passiert wäre. Für die teuflische Valerie, die ihr das hier eingebrockt hat, wenn das Protokoll der Notaufnahme stimmte. Ein Restaurantbesuch, Kerzen, haitianische Spezialitäten, wie traulich. Diesen kleinen Horrorladen, diese üble Kneipe würde er auch noch aufsuchen, dachte Dieter angemessen verbissen. Die würden schließen müssen, wenn er mit ihnen fertig war, Anzeige, Gesundheitsamt, by any means necessary.
Der Hure Fluch, das Leichentuch – aus welchen Erinnerungsschluchten wehte das jetzt her? Draußen blitzte und donnerte es, ein richtiger Sturm: Immer diese kindischen Horrorfilmrequisiten in diesen existenziellen Grenzsituationen, Erbarmen.
Dieter dachte an einen fürchterlichen italienischen Film übers Jenseits, den er mit Robert Rolf mal gesehen hatte: Da waren der Held, die Heldin und ihrer beider minderjährige Schutzbefohlene am Ende einen Krankenhaus-Korridor langgerannt, verfolgt von Leuten mit angesägten Schädelkappen, und als sich dann entsetzlicherweise rausstellte, daß in Wirklichkeit …
»Sie können hier nichts mehr machen, Herr Fuchs. Gehen Sie doch nach Hause.«
Der Professor lächelte aufgesetzt, stand stoisch neben dem Kaffee- und Süßigkeitenautomaten. Gibt’s das? Ich hab’ den Kasten wirklich nicht gesehen. Wahrnehmungsstörungen, das auch noch, entzückend.
»Wirklich, Herr Fuchs. Ich meine das ernst. Ihre Frau ist stabilisiert.«
Was weiß der von »wirklich«, was weiß der, wie das wirkt? Dem eigenen Trotz trotzend, stand Dieter aber auf, sagte dem Arzt verschämten Dank und knöpfte sich die Jacke zu, als er hinausging. Dankenswerterweise stand da gleich ein Taxi.
»Wohin?«
»Escherstraße.«
»Was?«
»Escherstraße.«
»Was?«
Dieter kam sich vor wie im Traum, gab dem Fahrer seine Visitenkarte, und der grunzte: »Aaah, Escherstraße. Ja, ja.« Durch ein von Sturmlichtblitzen bekämpftes Großstadtstraßenbild ließ sich
Weitere Kostenlose Bücher