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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Handgelenkbeuger und der Fingerstrecker der Rechten ließen ihn im Stich, der Regenschirm fiel ihm deshalb erst auf den Kopf, dann kippte er weg und rollte von der Bank in den Matsch. Ein Knirschen hörte Robert Rolf in diesem Augenblick, und dann ein Rasseln, ein Summen und etwas wie rieselnder Sand mischten sich ins pausenlose Regenrauschen, hinter ihm, rechts und links von ihm. Rausch, Rauschen, Rauscher, dachte er – Kollege Rauscher aus Frankfurt, zwei Töchter, kluge Frau, zu teure Blumen.
    Stier geradeaus blickte das Tier, das ein Mann war, Valeries Vater, der stampfte: Seine Schuhe schienen im Matsch hängenzubleiben, bei jedem Schritt, als wären sie aus Eisen. Ein Blitz zerfiel nah den Spitzen der Baumwipfel in zwei Lichtadern, und in seinem Gleißen sah Robert, daß an den Sohlen der Schuhe des Ungeheuers Stacheln waren – spitze Dornen aus Metall. Nur noch einen Schritt weit von Schöninchen weg schwankte der jaulende Verrückte, dem ein blutiger Hemdzipfel aus der Hose hing. Er gurgelte mit dem Blut von Torsten Herbst, als wäre es eine Spülung, gegen Zahnfleischentzündung.
    Jetzt breitete er die Arme aus, wie seine Tochter. Zwei Kinderzeichnungen, zwei T-Formen, zwei Gekreuzigte bewegten sich nun aufeinander zu, denn Valerie tat jetzt einen ruhigen Schritt, und gleich noch einen zweiten.
    Die Damastklinge in der Rechten des Monsters bohrte sich zuerst in Valerie – in ihre linke Hand, die sie empfangend öffnete. Zwischen Lebens- und Schicksalslinie glitt die Klinge hinein, und trat am Handrücken aus, schnitt den Ballen glatt durch.
    Peter Thiels linke Faust umschloß ein Stoßmesser am Halbkreisgriff. Mit der fein geätzten Spitze spießte er Valeries andere Hand auf und schrie dazu, als wäre der Schmerz, den sie spürte, sein eigener. Ihre schlanken Finger schlossen sich um seine Fäuste. Arm an Arm und Arm an Arm standen sie da. Er brüllte wieder.
    Sie zog die Augenbrauen zusammen, in größter Konzentration, als ob sie über ein geometrisches Problem nachdächte, eine treffende For mulierung, ein neues Gesetz. Dann trat er auf ihre Füße, so fest er konnte, links, rechts, mit den schraubenzieherspitzen Dornen an den Sohlen. Erst jetzt sah Robert, daß Valerie barfuß war.
    Er wollte etwas sagen, aber Kehle, Stimmbänder, Zunge und Kiefer gehorchten ihm nicht.
    Bitte geh noch nicht, bleib noch ein bißchen hier, ich will dir noch was sagen, nur die Worte fehlen mir. Speichel floß ihm über die Unterlippe, rann mit dem Regenwasser das Kinn hinunter. Die Hände lagen schlaff neben den Oberschenkeln.
    Blut quoll aus Valeries Füßen unter Peter Thiels Schuhen hervor, die beiden Aneinandergespießten schwankten in Regen und Wind, ein wenig vor, etwas zurück, dann kippten sie, zur Wippe hin, sanken in den Modder, auf dem der Regenfilm sich mikroskopisch kräuselte, Quallenhaut. Im großen Stroboskop rangen sie miteinander.
    Valerie zuckte mit dem Kopf vor und zurück, der Vater riß den Mund weit auf, röhrte wie ein angefahrener Elch. Dann biß er ihr ins Haar überm Ohr, schloß die Zähne fest aufeinander: Zackenreihen einer Bärenfalle. Er riß und ruckte, zuckte und zerrte, wollte ihr das Haar samt der Kopfhaut vom Schädel beißen.
    »Öäähh … häää … ooo …« – Robert drückte unartikulierte Laute aus dem Hals. Schau mich nicht so an, weil ich sonst ganz bestimmt überhaupt gar nichts sagen kann. Etwas bewegte sich, großzügig ausschwenkend, rechts neben ihm. Es war ein Arm mit angefaulter Hand, die nach ihm griff.
    Jetzt bekam sie ihn zu fassen, schloß sich um die Kehle, drückte zu.
    Am Kletternetz stand Mutter Thiel, einen Wagenheber in der Hand.
    Sie schien unschlüssig, ob sie die drei Schritte zu den im Matsch kämpfenden und sich windenden Leibern von Ehemann und Tochter wagen sollte, um dann das heftige Gerät auf einen der beiden hinuntersausen zu lassen.
    Ihre Schutzbefohlenen, die ärmsten Armen aus dem Hades, schleppten sich krumm und bucklig, halbverwest und glänzend vor schleimiger Nässe langsam auf die Lichtung: ein Mann in Businesskleidung, dem Zungenbein und Schildknorpel zum offenen Hals heraushingen, eine Frau, oben ohne, im Lederrock, mit gelbleuchtenden Kohleaugen, deren rechter Busen abgefressen war – ein Bronchienstück flappte am Torso, fleischliche Gardine –, zwei Kinder, wohl Zwillinge, waren auch dabei, in kurzen Hosen – das rechte Bein des einen Jungen sah aus wie ein Kabelbündel oder ein Spaghettizopf, aus nichts als Muskelgewebe und

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