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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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der ­Kunst­historiker nach Hause fahren, zu Draculas Schloß wäre vermutlich auch o.k. gewesen. Beim Aussteigen wurde Dieter von einem schweren Kübelinhalt Regen übergossen, rettete sich aber doch noch, kurz vorm Ersaufen, in den Hausgang.
    Mit dem großväterlichen Tritt eines erschöpften Sämanns auf einer dreihundert Jahre alten gemalten holländischen Landschaftsverherrlichung ging er die dunkelbraune Holztreppe hoch. Oben angekommen, sah er in der stumpfen Glasscheibe der Tür zur Wohnung eidottergelbes Licht brennen, das da gar nicht brennen durfte. Dieter Fuchs war sich sicher, daß er, als ihn der Anruf aus dem Krankenhaus erreicht hatte, zwar eilig aufgebrochen war, aber nicht so überhastet, daß er dabei vergessen hätte, das Licht auszumachen.
    Da sah er die Blutspur: an der Klinke, auf dem hellbraunen Teppichflecken, der als Fußabtreter diente, sogar auf dem Holz, den ­Stufen, die er eben noch mühsam erklettert hatte. Ihm fiel zusammen mit der jetzt offensichtlichen Lösung ein Rätsel wieder ein, das ihn in der Klinik befremdet hatte: Die Schlüssel waren nicht in Stefanies Handtasche gewesen, die man ihm samt Inhalt ausgehändigt hatte, der Geldbeutel auch nicht, obwohl sonst nichts fehlte, weder Kosmetik noch Bücher (DeLillo, Armstrong) noch das Handy seiner Frau.
    Fast hätte er laut ausgesprochen, was er, den eigenen Schlüssel bereits in der Hand, in diesem Augenblick dachte: Ich sollte diese Wohnung nicht betreten, sondern meinem Schöpfer danken, daß, wer immer da drin jetzt ist, dumm genug war, das Licht einzuschalten.
    Ich sollte auf die Straße laufen, einen öffentlichen, um diese späte Nachtzeit noch leidlich gut besuchten Ort anpeilen – die Kneipe an der Kreuzung zum Beispiel – und von dort sofort die Polizei rufen. Nur ein Volltrottel würde stattdessen tun, was ich gerade mache. Dieter steckte seinen Schlüssel ins Schloß, drückte mit dem Daumen der anderen Hand den Klingelknopf, um seinen Besuchern zu signalisieren, daß er jetzt die Wohnung betreten würde, ist ja nur fair. Dann öffnete er die Tür und trat schneller als gewöhnlich ein, schloß sie rasch, aber leise hinter sich, als wollte er sagen: Die Nachbarn geht das aber bitte nichts an, was wir hier gleich veranstalten.
    Überall, nicht nur im Flur, waren alle Lampen eingeschaltet.
    In seinem Arbeitszimmer, in Stefanies Raum, in Küche und Bad. ­Dieter setzte mit angehaltenem Atem vorsichtig einen Schritt vor den andern und zählte die Schneewittchen-Blutstropfen auf dem joghurtfarbenen Teppich: eins, zwei, drei. Am Ende wurden das stecknadelkopfgroße Pünktchen, verbunden von fein gezogenem Fädchen, Bleistiftstrich durch nichtnummerierte Punkte einer Rätselzeichnung.
    An der Schlafzimmertür angekommen, erblickte Dieter seinen Besuch.
    Schöninchen kauerte in der Ecke. Das zugeschwollene linke Auge war königlich purpurn angelaufen. Die Wunden in Händen und Füßen sahen schlimm aus, von viel geronnenem Blut verkrustet. Die Kleidung starrte vor Dreck, bis zur Unbrauchbarkeit zerrissen. An allen vier Extremitäten, den Ober- und Unterschenkeln, den Armen, sogar um den Hals, waren Riemen mit Messerfutteralen angebracht. Valerie war mit scharfen Klingen behangen wie ein Weihnachtsbaum mit Christschmuck. Das hockende Mädchen wühlte in ausgezogenen Nachttischschubladen, als hätte Dieter seine Wohnung nicht betreten, als wäre er gar nicht da. Sie schaute ihn nicht an, sagte aber: »Hallo, Dieter.«
    »Hallo … Val… Valerie?« – Ihm schwindelte ein wenig, er stützte sich am Türrahmen ab.
    »Valerie, ja. Und mehr. Wie auf Gästelisten, verstehst du – Schöninchen plus eins. Hör zu, Dieter, ich brauche Geld.«
    »Warum sollte ich dir …«
    Valerie schnaubte, schenkte ihm einen unglaublicherweise niedlichen Seitenblick aus dem gesunden Auge, und er dachte: Übel zugerichtet, zwei Krallenschrammen auf der Wange und der Hals an mehreren Stellen blau angelaufen, da tut einem schon das Hinsehen weh, »wirklich«, Herr Professor.
    »Du gehst von der irrtümlichen Annahme aus, du wüßtest, wen oder was du vor dir hast, Dieter. Wenn es sein muß, bin ich du, kann man das fassen?«
    »Wie meinst … was soll das heißen, ich?«
    »Neunzehnhundertsechsundsiebzig. Mein großer Schwarm: Tanja Brodersen, die Tochter vom Tierarzt, mit den dicken Beinen. Oder Neunzehnhunderteinundachtzig: die Nacht, als ich mich umbringen wollte, erst über Autoabgase durch den Schlauch nachgedacht habe, dann übers

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