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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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aus territorialer Abgrenzung, als abstrakte, sprachliche, semantische Wesen, also von Einrichtungen wie Privatsphäre und Kleidung (vgl. Chad Mulligan, »You: Beast« und »Your’re an ignorant idiot«). Sie fühlen sich bedrängt, übermannt, beherrscht, wenn sie, wie zum Beispiel im Gefangenenlager, im Knast oder beim Militär, entweder gar keine oder keine selbst ausgesuchte Kleidung mehr tragen dürfen. Deshalb zwingen Folterer ihre Opfer so gern, sich auszuziehen. Etwas ganz Ähnliches ist der wahre Sinn von Musterungen.
    Mißlich für den Dokter und seine Schläger war bloß, daß Astrid Riedler nur ein einziges Reaktionsmuster kannte, wann immer sie sich bedrängt, übermannt oder beherrscht fühlte: Alles zu Klump schlagen und jeden totbeißen, der nicht sofort von ihr abließ.
    7  Erst als sie das Auto schon fünfundzwanzig zu Fuß bewältigte Fluchtmeter hinter sich hatten, gerade die südliche Ortsgrenze von Fahrnau passierten und schwer außer Atem gerieten, bemerkte Freddy, daß Jennifer hinkte, weil sie getroffen war. Der Fleck auf ihrer Jeans, vorn am Oberschenkel, sah wie Teer aus und wurde schnell größer. Ich weiß nicht mal, wie schnell man wie viel Blut verlieren kann, dachte Freddy. Ich bin nämlich kein Soldat. Er schaute sie an, in ihr Gesicht, es war bleicher als vorher. Freddy bekam große Angst.
    »Glotz nicht, lauf! Hast du die Minidiscs? Den Rekorder?« sagte sie und schoß gleichzeitig in zwei Fenster von Mehrfamilienhäuser am Weg, dann in ein Gartenhäuschen, nach keinem für ihn begrei flich en Plan.
    Sie vermutete da wohl Heckenschützen, dachte er fast beleidigt, na bitte, na gut, sie war hier die Soldatin und mußte es wissen. Obwohl sie humpelte, hatte Freddy Schwierigkeiten, mit ihr Schritt zu halten, und zog beim Laufen immer wieder den Kopf ein: Erst die Leuchtkugeln über den Dächern, jetzt das Wummern von fernem Artilleriefeuer, dumpfe Hammerschläge, ab und zu Schreie, Scheppern, Knacken, das alles war für einen geschworenen Gewaltvermeider wie ihn zuviel Scheiße auf einmal.
    »Was willst du denn immer mit den blöden … Discs …«, keuchte er im Stolpern. Dann passierte was Komisches: Es hob ihn von den Füßen, riß ihn in der Luft lumpig herum, um die eigene Achse, einmal, zweimal, doppelter Rittberger. Der matschige Weg, auf dem er Jenny gefolgt war, hatte sicher ausgesehen. Aber Soldaten hatten ihn vermint. Freddy landete in einer weitmaschigen Drahtumzäunung, die ein Tomatengärtlein umfaßte. Das rechte Ohr brüllte Schmerz, der linke Fuß war abgeknickt, sonst ging’s ihm leidlich.
    In einem kleinen Fichtenwäldchen rechts ging Granatfeuer nieder. Menschenähnliche Gestalten mit hüftlangen wehenden Haaren stoben daraus hervor, zwei fielen, blieben liegen. Zwei weitere flohen hinter eine Kleingarage, johlten, kreischten. Freddy schluchzte und schloß die Augen. Seine Finger waren in die Drahtmaschen verkrallt. Er wollte sich nicht umdrehen, nicht umsehen, was mit Jenny passiert war, deren Tritt die Mine gezündet hatte. Ausruhen wollte er, schlafen, schön schlaff in den Dreck rutschen und lange liegenbleiben. Ich will nicht mehr. Aus Ägyptenland. Ich kann nicht mehr gehorchen, meinen Aufgaben. Ich will nicht mehr müssen wollen.
    8  Weihnachten, hatte es immer geheißen an der Front, Weihnachten ist der Krieg aus und wir feiern daheim den Endsieg. Und jetzt war der Krieg aus und Weihnachten längst vorbei, und der Krieg stand bevor und bald würde wieder Weihnachten sein, und sie schulterten alle wieder ihre Gewehre; es war ganz richtig so, es war ganz schwachsinnig, im Ohr hatten sie alles nach wie vor, was ihnen gesagt worden war, in einer fabelhaften Ansprache des braven Rudolf Heß: »Die Partei ist Hitler, Hitler aber ist Deutschland, wie Deutschland Hitler ist.« Hätten sie zugehört, sie wären noch verrückter geworden als eh schon.
    Zum Glück aber hatten sie, ach was, ist doch egal.
    9  Einen Moment lang nur, einen infinitesimal kleinen, hörten und sahen und rochen und verstanden Astrid und Philip einander zum letzten Mal, während sie geschlagen und getreten wurden.
    »Ich liebe dich«, sagte Philip da zu Astrid in ihrem Kopf. Gut und gerecht war, daß es die Schinder und Mörder nicht hören konnten. »Nein, tust du nicht«, lächelte Astrid von der andern Seite herüber, »aber trotzdem danke, daß du’s sagst.«
    10  Es war gegen Ende des Wegs, irgendwann 2003, das weiß ich ganz sicher.
    Ob Valerie sich seinerzeit schon in meinem

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