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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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und man an so früher Stelle der Erzählung einfach nicht mit allem rausrückt, was man hat, etwas anderes als das, was Ihr gelesen habt, habe ich gemeint. Als ich erklärte, Philip hätte zu diesem Zeitpunkt, an jenem kalten Morgen, als der Wintereinbruch zur Gewissheit wurde, Angst um seinen Arsch und seine Liebe gehabt, gab ich ihm recht, wegen der Zahlen- und Bewaffnungsverhältnisse.
    In Wirklichkeit hatte Philip Klatt aber vor was anderem Angst gehabt, wie ich jetzt zugeben darf: vor dem Aufwachen. Er wollte ­nämlich in Astrids Armen, und mit seinen Armen um Astrid, noch ein biß­chen weiterschlafen. Am liebsten wäre ihm gewesen, sie hätten den Tag dann später so begonnen, wie sie ihn schon einmal zusammen begonnen hatten, nach einer Nacht ohne Ruhe: mit einem Heavy-Metal-Früh­stück, bei dem er eine der alten Platten aufl egte und sie sich zum derart entfesselten Furor der Ritter von Manowar: »Blow your speakers!« seelenruhig Honig aufs gesunde Vollkornbrot strich, ohne die Schicht Butter drunter, die zivilisierte Menschen benötigten, und ihn nackt und mit verklebter Schnute angrinste, mit diesem tief missmutigen Zug um die Augen, den er so liebte.
    Dieser Wunsch ließ sich unmöglich erfüllen: Es schien nur früh zu sein, war aber spät, bald finster, bald schon Krieg. Philip, der sich vormachte, es wäre nicht so, wußte das, und daß er sich folglich nicht mehr lange unter Wasser würde verstecken können, mit angehaltenem Atem, aufgehaltener Kraft.
    Herrschaft neu uralt errichtet. Bezahlt mit Blut. Ich lehne dich ab. Du bist kein Gott. Eine Steak-Hüsli-Crêperie wurde unter Feuer genommen, weil da welche von der Gewerkschaft drin saßen, die mit anderen Städten telefonierten, wo man sich auch schon fragte, ob man vielleicht generalstreiken sollte. Am Rand von Ewigem erklangen wieder Evergreens.
    Die Runen.
    Die Botschaften.
    Du magst nicht töten.
    »Hmmmssmmssm«, machte Astrid und regte sich zart, schmusig, mit gerümpfter Nase.
    Er küßte sie auf die Schulter. Ihm wäre es ach so schön recht gewesen, wenn er nie hätte begreifen müssen, was wirklich geschehen war: Daß er sich hier nicht nur vor Michaela und der Staatsanwaltschaft, die ihn suchte, weil er dem Hausfreund das Gesicht verbrannt hatte, sondern vor allem vor sich selbst versteckte, daß er nur deshalb als sein Schattenselbst, das er nicht kennen wollte, die junge Frau Ackermann mit Drohanrufen belästigt und sogar ihren Hund getötet hatte, um sie aus der Stadt zu vertreiben, daß er, der eigentlich alle und alles sein konnte, weil er ein W war, im Moment ihres Sterbens Frau Flasch gewesen war: Ich bin Frau Flasch, ich stehe auf, ich haue meiner guten Freundin das Tablett auf den Kopf, so daß sie mit weit aufgerissenen, staunenden Augen nach vorn fällt und dann bewußtlos zusammensackt, die hat es hinter sich, wacht nie mehr auf. Damit das auch wirklich stimmt, drücke ich ihr die alte Hand auf Nase und Mund und ersticke sie, während die Wohnung sich langsam füllt mit dem leicht entzündlichen Gas, wie lange so was gehen kann, erstaunlich, und am Ende stecke ich mir dann das Streichholz an und merke, bevor mich das Feuer an die Wand weht wie Sturm ein verschrumpeltes Ahornblättchen vor der alten Schule hoch übern Fluß, daß ich gar nicht Philip Klatt bin, der Frau Flasch ist, sondern Frau Flasch, die Philips Willen vollstreckt, aber da ist es zu spät und ich bilde mir sogar ein, den unglaublichen Krach zu hören, den es macht, dieses Haus, als es hochgeht, in einem Weltloch, das sich schneller dreht als möglich.
    Verhüllte Zwerge scharrten im Boden der Tatsachen.
    Niemand traute sich auf die Straße, dem das Leben lieb war. Sperren wurden errichtet, Übernahme flackerte, die Hebelstraße längs und quer trieben entwurzelte Gräser. Staub sammelte sich vor Schwellen, die graue Maus der Kirche Welt hatte Angst vor Tod durch Wasser, durch Blut. Niemand aber tat etwas gegen die Teufel, niemand war was, nichts. Eine barocke Orgel in der kleinen Altstadtkirche schämte sich alleingelassen. Vögel verließen die Baumkronen. Alle wußten, daß die Toten kamen, uns Gesellschaft zu leisten, es gab nicht einmal in den Bergen Einsamkeit. Auf Nietzsches Anrufbeantworter rauschte Dummheit aller Heiligen, aller Zeiten.
    Der Dokter trat die beiden Türen nicht selbst ein.
    Das erledigte Gina Weil für ihn. Dafür war Rainer Utzer der erste, der ins Haus, und kurz darauf auch der erste, der in die Wohnung stürmte, mit dem

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