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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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ausgibt.
    Heute abend fliegen wir nach Jerusalem; ich war lange nicht mehr da.

Dreihundertzweiundsechzigster Tag
    Vor fast einem Jahr habe ich angefangen, die Tage zu zählen.
    Zuviel Zeit ging verloren. Selten werde ich über die Ziffer des Tages hinaus was aufschreiben können, weil der Chef mich nur zu ausgesuchten Gelegenheiten überhaupt an einen Rechner läßt. Was ist das, übrigens, für ein Gerede von einem Keller, den sie ihm bauen werden? Vielleicht ein Rechenzentrum.
    Jerusalem war furchtbar. Die Märkte gibt es nicht mehr, die am Schabbat überfüllten Gassen sind finsterer als Tom All Alone’s, die Zombies haben sie übernommen, und ihre Kollaborateure schieben sich bleich und zitternd an der Wand lang, froh, nicht gefressen zu werden: kein Handel, keine Gewürze und feinen Tuche und Radiowecker und ­schönen Dolche und Nüsse mehr. Ich erinnere mich, vom ersten Mal her: Ayoubi Sweets&Coffee Shop, das war wirklich sensationell, von wegen »Starbucks« und solche Jauche – plötzlich habe ich kapiert, was Kaffee eigentlich sein soll, ein Genußmittel halt, du armer Dummsack aus Deutschland.
    Damals sind wir dann über diese endlosen Treppen hoch zur Mauer, wo man diese Zettelchen mit den Wünschen reinstecken konnte, ich weiß noch, daß mir das zu … zu dingens war.
    Ja: Ich wollte es eben nicht, noch nicht mal in die Nähe der Mauer gehen, weil das ja schließlich nicht meine Religion ist, da kann ich mich doch nicht einfach so dazustellen … Großer heller Platz, zahnsteinfarben. Diese eine Frau aus unserer Gruppe, der man wirklich zugetraut hätte, auf einen Zettel zu schreiben: Frieden für Israelis und Palästinenser, und den da reinzustecken, und die auch wirklich irgendwas in dieser Art geschrieben und reingesteckt hat, war aber natürlich im Recht, gegenüber meiner erzlinken, respektvollen Ethnologen-Fürnehmheit. Die war überhaupt sehr schlau, und unglaublich nett. Ich frage mich, was aus der geworden ist. Wen soll ich auch sonst fragen.
    Gruselgeschichten von hier: Auf dem Dach des phallischen, mehlwurmgelben Turms gegenüber dem King David, an einen Mast, haben sie den letzten Bürgermeister festgebunden, die Eingeweide hingen ihm anfangs aus dem Bauch bis auf die Knie, Vögel haben sie dann gnädig aufgefressen.
    Nachher treffen wir unsere Finanzexperten, im Bordell.
    Die Mädchen sind sehr jung dort, sagt der Araber mit dem Zuckertick. Ich weiß nicht, warum man mir das mitteilt, aber plötzlich argwöhne ich, daß er – der Chef, ya know – die Geschichte mit Valerie allen erzählt hat. Ich ahne immer noch nicht im mindesten, was er eigentlich will, von mir, von denen, von überhaupt. Der Spiegel im Zimmer sieht gotisch aus, nu ja: Er läuft halt oben spitz zu.
    Mein Gesicht ist ganz zugewachsen mit einem ungesunden Bart, gelbes und rotes Moos, das Kinn verschwunden, überwuchert. Tel Aviv und einen langen Streifen am Meer können die IDF ler vorerst halten, sagt eine Israeli, die uns die Verbindung zur Regierung offenhält. Aber sie sind korrumpiert: In dieser neuen Regierung sitzen sechs Zombotiker.
    Die ehemaligen radikalen Siedler, die nie mit denen was zu tun haben wollten, und die Ultraorthodoxen, sowie ein paar religiöse Sammlungsbewegungen, die sich, hallo Sabbatai Zwi, offenbar auf einen der Ihren als großen Einiger verständigt haben, den sie »Mann mit Kapuze«, The Hooded One nennen, aber lustigerweise auch ein paar linke Kibbuzleute und ein paar Zerquetschte hier und da haben jetzt dutzendweise Sezessionen erklärt. Der Chef hat vermutlich recht, wenn er sagt, das sei der Anfang vom Ende des Staates Israel. Beschützt werden diese ganzen kleinen Ministaaten von Teilen der Armee, die sich ebenfalls abgesetzt haben. In Europa muß es ähnlich gelaufen sein, kaum noch jemand blickt durch, wer da nun gegen wen warum was.
    Sie starrt das Papier an, in meinem Kopf, diese weinende Frau. Intarsien.
    Kann sie die Glyphen lesen? Ist das möglich?

Dreihunderteinundneunzigster Tag
    Im neuen Hotel, auf dem Balkon, hoch über dem Segelhafen, gibt er mir ein paar von meinen alten Sachen: eine Alison-Krauss- CD , einen Band Dickens (»Bleak House«), Fotos, darunter eins von Valerie auf dem Alexanderplatz, vor der Weltzeituhr, wir sind ins Kino gegangen an dem Tag, irgendwas mit Tom Cruise, glaube ich, den sie mochte.
    Warum er mir die Sachen jetzt gibt, und woher er sie hat, frage ich ihn leicht gereizt. »Es wird Zeit, daß Sie, nachdem Sie jetzt ein paar Monate, ja sogar Jahre

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