Für immer in Honig
lang zur Ruhe kommen konnten und mich bei meinen … Unternehmungen begleitet haben, daß Sie, sage ich, Ihren Frieden mit dem Leben machen, aus dem ich Sie herausgeholt habe. Nicht alles daran war schlecht, müssen Sie wissen. Manches hat sogar mit den Gründen für Ihre Fortexistenz zu tun. Es ist kompliziert, und den kleinen, aber bedeutsamen Teil davon, den Sie sich ohne meine Hilfe erschließen können, sollten Sie jetzt allmählich zu verstehen anfangen. Wenn wir wieder auf dem Golan sind – ich betrachte das als unser Zuhause, und Sie sollten das ebenfalls tun, wir werden immer wieder dort sein, häufiger als an jedem anderen Ort in diesem schönen Land –, dann gebe ich Ihnen noch mehr Stücke aus Ihrem … Nachlaß. Und Sie sollten wieder mehr schreiben, mein Lieber. Schreiben Sie! Dichten Sie!«
Er lacht und tunkt sein Hörnchen mit der Spitze in den Honig: So kann man’s auch machen, warum bestreichen, und wozu Butter? Die Frau aus Amerika, die wir treffen werden, soll wichtig sein: »Miß Rosenberg«, sagt er mir im Aufzug, »ist unser direkter Draht zum Messias. Sie wird sogar die Biographie schreiben, also erweisen Sie ihr den schuldigen Respekt – stellen Sie sich einfach vor, Sie wären, ich weiß auch nicht – Martin Luther oder meinetwegen Erasmus, und ich nähme Sie mit, daß Sie Herrn Lukas, Herrn Johannes, Herrn Markus oder Herrn Matthäus guten Tag sagen können!«
Ich bedanke mich für meine alten Sachen aus Berlin und Freiburg.
Er schüttelt den Kopf, lächelt nachsichtig und sagt: »Sie sind kein Zombotiker und kein Zombie, das sollten Sie wissen. Sonst könnte man bei Ihnen Solanum zapfen, aber … nun ja. Vergessen Sie’s nicht: Sie sind was anderes.«
Was anderes. Okay.
Vierhundertsechster Tag
Und es steht wirklich schon bei Dickens, tatsächlich, alles, was wir hier erleben müssen: »Da versenken sie ›unsern lieben Bruder‹ einen oder zwei Fuß tief in die Erde. Hier säen sie ihn in Fäulnis, damit er in Fäulnis wieder erstehe, ein rächendes Gespenst an manchem Krankenbett, ein beschämendes Zeugnis für künftige Zeiten, wie Zivilisation und Barbarei auf dieser ruhmreichen Insel einst Hand in Hand gingen.«
Vielleicht sollte ich mehr heulen, das kräftigt.
Vierhundertzwölfter Tag
Cäsaräa, Amphitheater, kleines Treffen mit Europäern in slicken Anzügen.
Unsere Leute tragen T-Shirts, Israeli Defense Forces, auf übriggebliebenen Märkten gekauft, nicht echt. Der Aufdruck zeitigt trotzdem Wirkung: Wir sind die Militanten, bonjour.
»Machen Sie sich Notizen«, sagt er, »und wenn Sie zuwenig Zeit am Computer haben, schreiben Sie’s einfach in knapper Form von Hand auf. Stichwörter, Stenographie, Steganographie! Ha!«, er reicht mir eine Traube und zieht sich die Krawatte gerade. »Ihr Dickens, der hat immer alles mitstenographiert, wußten Sie das? Hat er am Gericht gelernt. Jarndyce und Jarndyce, indeed!«
Ich habe nur einen Koffer.
Vierhundertachtzehnter Tag
Im Kibbuz – er sagt mir den Namen des Ladens nicht.
Die Chica und eine lesbische israelische Schriftstellerin stellen sich, als ich sie dazu auffordere, vor die Gemeinschaftshalle und zeigen mit den ausgestreckten Armen »in die Zukunft«, weil ich ihnen erklärt habe, sie selber seien für mich diese Zukunft: junge linke israelische (oder hispano-amerikanische, dann nach Israel ausgewanderte) Frauen, die bereit sind, gegen die Toten zu kämpfen. Sie lachen, sogar die sonst so verschlossene Chica, es ist alles ganz albern. Die beiden Zeigefinger an den ausgestreckten Armen können sich nicht einigen, wo die Zukunft liegt. Dann läßt die Lesbe den Arm sinken, so hat nur die Chica den Arm oben, da lang, hopp! Das Bild ist unscharf.
Ich liebe diese Menschen. Ich will hier nicht mehr weg.
Vierhundertzwanzigster Tag
Das, sagt mein neuer Freund, der Chopperflieger, ist der Unterschied zwischen den Märkten in Jerusalem (die zombiebedingt geschlossen sind) und denen in Tel Aviv: In Tel Aviv kannst du Porno- DVD s kaufen, die sind einfach in Schüttkästen vor die Läden gestopft, regt keinen auf, von wegen Jugendschutz. In Jerusalem dagegen steht selbst jetzt, im neuen Äon der Zombieherrschaft, ALLES unter Jugendschutz, wegen der irrsinnigen Religionsscheiße da.
Ich weiß nicht, ob ich ihm recht geben will, was sein Ressentiment gegen Glaubensresiduen angeht. Der Chef sagt, die Juden in ihren zaungeschützten Hochsicherheits-Vierteln in Jerusalem haben die Zombie pest genau deshalb überlebt, den
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