Für immer in Honig
irgendein bekloppter Westernheld im Film, der rascher gezogen hat als der Gegner.
Ich dachte wirklich, der wollte mich mit dem Panzer wegschießen. Mir war nicht klar, daß mich das provozieren sollte, ihn zu töten, obwohl ich alles gesehen und empfunden hatte, die ganze Vorgeschichte mit Michaela, den finsteren Suizidwahn, die Racheglut wegen Astrid, den fertigen Plan sogar, der in dem Moment geboren war, als Astrid starb.
Jetzt hörte ich, daß die Einschläge und vereinzelten Angeberschüsse nicht mehr weit waren – sicher gab es keinen Widerstand mehr. Wie viele W konnten es schon in so einem Ort aushalten, drei Dutzend, vier?
Fahrzeuge näherten sich, dem Geräusch nach zu urteilen wahrscheinlich schon auf der Höhe der Himmelreichstraße.
Ich mußte zur Schule, zum Rondell. Also befahl ich meine Messer zu mir, an den Körper, in die Gurte, in die Tasche. Valerie Thiel schritt langsam zu Philip, ging in die Hocke und drehte ihn um. Sie schloß seine Augen und sagte: »Robert hat dich gekannt. Ich nicht. Es tut mir trotzdem leid.«
Eine bessere Grabrede fiel ihr nicht ein; diese paßte.
2 Andy wußte noch nicht, daß er der einzige Überlebende aus dem Rudel des Rainer Utzer war. Aber daß er noch lebte, das spürte er. Als einen Schmerz hauptsächlich, aber auch als Jubel, sobald es ihm gelang, den Holz- und Plastikmüll von seiner Schulter zu werfen und sich aufzurichten. Mit seinen staubigen und zerschrammten Händen stemmte er sich gegen die Wand. Schutt hing ihm im Haar, grotesk große Schuppen aus Zement. Blut lief ihm in verzackten Gerinnseln übers Gesicht. Wieso es so hell war, da, wo er aufstand, verstand er, als er sich staunend zur weggerissenen Wand umdrehte.
Andy versuchte, nicht auf die Leichen zu achten, nicht auf die abgerissenen Menschenüberreste und das Rotfeuchte überall, als er zum Flur schaute und einsehen mußte, daß hier kein Durchkommen war, angesichts all dieser Trümmer, der Bruchholzballung im Türrahmen, der Mauerreste und, doch, ja, auch der zwei Leichen dazwischen. Andy schüttelte den Kopf, als ob der selber voller zerbrochenem Zeug wäre, damit der Schutt zu den Ohren rauskäme. Irgend jemand redete da draußen was, mit großen Pausen: »Die Maß …«, hörte er einen sagen, das konnte Philip sein, und dann »Glaubst du?« oder ähnlich, eine Frauenstimme. Schwer zu sagen: Es pfiff noch schrill und klingelte in Andys Ohren. Obwohl: War das wirklich alles in den Ohren, oder knallte und rummste und rumpelte es weiter weg? Desorientiert, von Stichen und Brennen geplagt, humpelte Andy langsam und vorsichtig auf das Loch in der Wand zu, weil es ein Ausweg war. Ein lautes metallisches Knirschen, große Kurbel, an der Riesenhände drehten, ein kurzes Zischen, dann hörte er etwas wie einen plumpen Sack zur Erde fallen. Fast wäre er, leicht gleichgewichtsgestört, über ein Stück Mauerwerk gefallen. Dann stand er in der Wunde der Wand und sah ein Mädchen beim nackten, gefallenen Philip Klatt kauern. Das Mädchen hatte ein ernstes Gesicht, sehr rote Lippen, sehr blasse Wangen, langes, goldenes, zerzaustes Haar, seine Haltung war aufrecht und stolz, selbst im Kauern. Das Seltsamste war das Metall an ihrem Leib, eine Art geschmiedetes Federkleid, überall, staunte Andy, an Armen und Beinen, auf den Hüften und hinter den Schultern: Stifte, Stäbe? Nein – das waren Messer. Andy überlegte, ob er sich wieder ins Hausinnere verziehen sollte.
Da stand das Mädchen auf, drehte sich nach Südosten – und sah ihn.
So sagte Valerie Thiel: »Du siehst witzig aus, mit deiner Mehl- und Ketchupverkleidung. Bist du ein Nazi?«
Andy schüttelte den Kopf, mehr verwirrt als ängstlich, und sagte, so laut er konnte – etwas hatte ihm den Hals verletzt, ihn gequetscht, es tat weh zu sprechen: »Nee. Ich bin … ein Blödmann, hauptsächlich. Ich weiß nicht mal genau, was ich hier mache.«
Als Valerie ihn daraufhin einfach nur anschaute, kein Urteil von sich gab, fand er es nötig, hinterherzuschicken: »Das soll … aber keine Entschuldigung sein oder so. Ich hab’ hier gerade nämlich ganz viel Scheiße gebaut, glaub’ ich.«
Valerie zuckte mit den Schultern: »Geht mich ja nix an. Ich bin fertig. Das, weswegen ich gekommen bin, hat sich zum Großteil erledigt. Ich hau’ dann jetzt mal ab hier.«
Andy nickte, ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen können, und sie wandte sich schon ab. Da schien ihr etwas einzufallen, sie drehte sich wieder um, schaute noch einmal Andy ins
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