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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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ist das ganze Ding ein Metaphernspender. Die »Teilchen« sind die Replikatoren, die in unserer Gesellschaft Überbau-Geschichte machen: Ideen, Geld, Parolen, Begriffe. Er und wir Gippies schreiben diesen Sachen dann heuristisch-strategisch sozusagen ein Eigenleben zu, eine Art Intelligenz und einen eigenen erratischen Pfad. Es geht letztlich um so was wie: Warum mußte der Ostblock kippen? Wie wahrscheinlich war es, von den Ausgangsbedingungen her, daß wir heute in einer Welt der lebenden Toten leben würden, in Romero World, ein Zombie hing am Glockenseil? Kollaps aller Wege zu einer history: Die Quantenmechanik sagt, das passiert im Moment der Messung. Also erst dann, wenn Geschichte als Geschichte wahrgenommen wird. Der Witz bei der Metapher, denn mehr soll’s wie gesagt gar nicht sein, ist die »kohärente Summe der Amplituden«. Man nimmt ja bei Pfadintegralen zur Bezeichnung der einzelnen Alternativen komplexe Zahlen, die nicht bloß Quantitäten sind, sondern Phasen haben, um sie rum ist eine Art Phasenraum konfigurierbar. Bei klassischem Wahrscheinlichkeitskram addiert man klassisch: so und so viel Prozent Wahrscheinlichkeit, daß das eine Ergebnis rauskommt, so und so viel fürs Gegenteil, es müssen halt hundert sein im Ganzen. Man weiß sozusagen, was bei hundert Versuchen rauskommen muß. Die Vorhersage wird dann immer genauer für tausend, zehntausend etc. Bei Pfadintegralen fordern die komplexen Zahlen, daß man berücksichtigt, daß sich die Momente der Pfade nicht nur wie Teilchen, wie Quantitäten im Koordinatensystem, sondern auch wie Wellen verhalten: Nicht alle addieren sich, manche annullieren einander auch, andere müssen voneinander abgezogen werden. Die politische Geschichte so zu behandeln, bedeutet dann, daß man mehr sagt als nur: Es hätte auch anders kommen können. Denn soviel haben ja schon Marx und Engels gesagt, die es ihrerseits von Hegel hatten. Die GPI aber behauptet, es hätte nicht nur anders kommen können, sondern es ist auch immer anders gekommen – alle Möglichkeiten existieren wirklich, nur wenn man aufaddiert und mißt, kommt raus, was wir haben.
    F: Aber das ist doch totaler Unsinn. Eine Beschreibung, die sich auf extreme Mikrozustände der Quantenwelt, einfach so, und sei es als Metapher, für die normale Welt …
    J: Soweit ich weiß, ist man sich gar nicht mehr so sicher, ob es überhaupt eine prinzipielle Grenze zwischen der Quanten- und der »klassischen« Welt gibt. Überlagerungen und so was erleben wir zwar normalerweise im Alltag nicht, aber ich erinnere mich, daß, als ich das Zeug studiert habe, sich die Leute gerade vermehrt gefragt haben, wie das mit der Dekohärenz und Kohärenz von Quanteneffekten ist. Irgendwer hatte gerade zeigen können, daß sogar Moleküle aus bis zu siebzig Atomen, sehr große Gebilde also, Welleneigenschaften aufweisen. Ich meine, wo soll die eigentlich sein, diese Mikro / Makro-Schnittstelle, das hat man seit den Dreißigern des vergangenen Jahrhunderts immer wieder.
    F: Mmmpfh.
    J: Der Witz des Ganzen ist jedenfalls, daß Braun und wir mehr wollten als bloß eine klassische Revolution. Denn die verändert zwar die Welt, von da an. Aber wenn ein wirklich neuer Zustand so wie im Pfad­integralmodell entstehen würde, wäre auch die vorherige Geschichte verändert, einige Momente würden verstärkt, andere gingen verloren. Wenn wir erst mal in einer Welt ohne Zombies leben, wird es sie nie gegeben haben.
    F: Wie soll das praktisch aussehen?
    J: Für jedes Phänomen, das das gegenwärtig in der Gesellschaft gängige Weltbild, der Gesamtbeobachter sozusagen, irgendwie erklärt, muß die GPI eine praktische Gegenerklärung finden und materiell durchsetzen – propagandistisch, politisch, faktisch –, die mit der Welt, die sie will, übereinstimmt.
    F: O.k., jetzt verstehe ich’s: der auf Leninsche Hardcore-Techniken der Machtproduktion gestützte, totale Voluntarismus. Die GPI braucht sich durch kein Ereignis von ihrem Kurs abbringen zu lassen, braucht keine Widerlegung durch die Tatsachen zu fürchten, anders als der alte »wissenschaftliche Sozialismus«, einfach weil alle Tatsachen, die ihren Ansichten heute widersprechen, in dem Moment, in dem die GPI erfolgreich sein wird, Momente von annullierten historischen Wahrscheinlichkeitsamplituden sein werden. Wenn du Marx hättest zeigen können, daß – und warum – das Proletariat faktisch nicht revoluti onsfähig ist, wäre die ganze marxistische Theorie eingestürzt. Ihr

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