Für immer in Honig
anschauen, wie ihr Europakollege vor mir buckeln muß – das war auch so einer«, hier wurde Reuland wieder lauter, »von den ganz Schlauen, der wollte dem Totentanz auch ›netzwerkzentriert‹ begegnen. ›Drei Ebenen‹, erinnerst du dich? Erste: Sensoren betreiben Aufklärung: Wo sind sie denn, die kleinen Zombies, zweite: Informationsnetz, Kommunikationszentralen werten die verschiedenen Informationen aus, schick mir doch mal ’ne E-Mail, wo die kleinen Zombies alle sind, dritte: Wirkungsnetz, Waffensysteme bekämpfen den erkannten Feind: Hallo, kleine grüne Soldaten, schießt doch einfach mal auf die kleinen Zombies, schau’n wir mal, was passiert. Crafton ist natürlich Zombotiker, einer der letzten mit eigenem Kommando. Hat einen halben Hirnschaden, Alzheimer oder so, Prozessoren im Kopf. Die sind zwar nicht durchgeschmort, als Bush die Netze hat kappen lassen, aber ansonsten saß er plötzlich im Dunkeln, der gewaltige Feldherr! Ha! Große Sache!«
Vor den Ereignissen, die Reuland mit so viel Vergnügen immer wieder erzählte, weil sie ihn dahin gespült hatten, wo er am liebsten war: auf die Kommandohöhen, waren die CinCs tatsächlich eine große Sache gewesen, ein wichtiger Faktor der Außenpolitik der einzigen Hypermacht, mit mehr Mitteln als das State Department, welches immer weiter schrumpfte, während die Militärstruktur wuchs. Die Chefs der regionalen Kommandanturen verfügten über direkte Verbindungen zum Verteidigungsminister und zum Präsidenten; das Budget für ihre Hauptquartiere, inklusive Flugzeuge für jeden CinC, mit denen sie ihre jeweiligen Regionen bereisen konnten, betrug 380 Millionen damaliger Dollars, die Personalstärke war beeindruckend – zwischen tausendeinhundert und (im Fall des pazifischen CinC) dreitausendsechshundert Leuten arbeiteten für die einzelnen Kommandanten.
Den Anschlag in Brüssel verübte eine kleine Kabale aus Reulands eigenen Verbänden, aus dem Herzen der NATO-West. Der Ablauf dieses Anschlags ließ schon wenig später zahlreiche Chronisten an Stauffenbergs Hitlerattentat denken, denn woran die Sache scheiterte, war der Zeitfaktor.
Um neun Uhr morgens kamen die Herren im siebten Stock des neuen NATO -Gebäudes zusammen. Der CinC Europe selbst eröffnete die Gespräche, Reuland hatte sich massig und speckig in seinem Sessel zurückgelehnt, um das Gebrumm über sich ergehen zu lassen, die zerknirschte Anerkennung, die unfreiwillige Abtretung von Privilegien. Als der pazifische CinC, eine Frau namens Lewis, die Stafette vom sichtlich neidgelben Europakollegen übernahm und einige aufrichtig lobende Worte über Reuland sagte, spazierte plötzlich ein hochgewachsener junger Leutnant von der stationären Kommunikationseinheit in den Verhandlungsraum, trat von hinten an Reuland heran, beugte sich vor und flüsterte ihm ins rechte Ohr: »Ein Anruf für Sie, kommt übers schwarze Relais.«
»Stell ihn hier rein, ich nehm’ ihn schon …«, zischte Reuland, er wollte sich den Moment nicht verderben lassen und empfand außerdem leise diebische Freude bei dem Gedanken, hier gleich, wenn das Telefon vor ihm auf dem Tisch blinkte, die Hand heben und die wichtigen Persönlichkeiten mit dieser simplen Geste zum Verstummen bringen zu können.
»Das geht nicht, Herr Gen’ral«, schüttelte der Leutnant den Kopf, »sichere Leitung II, der Apparat steht ein Stockwerk tiefer. Sie sollten mitkommen.«
»Wer zum …«
»Er sagt, er wäre der Direktor der Netzwiederherstellung Nord.« Der Leutnant gab sich Mühe, das so klingen zu lassen, als hätte er von einer derartigen Abteilung schon mal gehört, obwohl das kaum jemand hatte – es gab sie nämlich gar nicht.
»Netzwiederherstellung Nord« war nichts weiter als das Codewort für Reulands Kontakte zu seinen Sponsoren im Weltraum – wer immer ihn da anrief, tat es von ganz weit draußen.
Kreuzer selbst? Nicht unmöglich, er kannte jedenfalls das schwarze Relais und die sicheren Leitungen, die sonst nur drei Personen außer Reuland kannten: die Musikantin, die Präsidentin und Putin.
Alle vier möglichen Anrufer waren je für sich genommen um Welten wichtiger als die aufgeblasenen CinCs, und so hob Reuland tatsächlich, wie er sich’s eben noch ausgemalt hatte, die Hand, lächelte die Pazifikkommandantin entschuldigend und, wie er meinte, charmant an – sie fand es ölig – und sagte: »Ich höre das alles sehr gerne, aber wir müssen kurz unterbrechen – bitte, bleiben Sie sitzen, es kann sich nur um
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