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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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einen Schluck aus der bereitgestellten Wasserflasche nahm. Sie enthielt sauberes Wasser, es bestand keine Infektionsgefahr.
    Dann räusperte sich der Vortragende und fuhr sehr viel sicherer fort: »Und das Zeugnis ist also folgendes, es stammt von einem Mulattenführer namens Medor, den man 1757 nach einem dieser Aufstände gefangen hatte, und der hat also gesagt: ›Wenn die Schwarzen Menschen vergiften, so geschieht dies, um die Freiheit zu erringen. Unter denen, die nichts wollen, als diese Kolonie zu zerschlagen, gibt es ein Geheimnis, von dem die Weißen nichts wissen.‹ Sie haben sicher alle vom Sklavenaufstand von 1791 gehört – dem Aufstand unterm Schwarzengeneral Toussaint, der zunächst mit den Spaniern gegen die Franzosen gemeinsame Sache gemacht hat, samt seiner Sklavenarmee, Städte im Norden besetzt, dann kam die Französische Revolution, dann schlug er sich auf deren Seite gegen die Spanier, dann hat er die ebenso zurückgeschlagen wie die Franzosen vorher, dann wurde die Französische Revolution im Thermidor umgekrempelt, dann kam Napoleon, dann hat das somit wieder reaktionäre Frankreich Truppen gegen Toussaint geschickt – der nannte sich zu diesem Zeitpunkt Touissant L’Ouverture, das sollte die Öffnung, das Vorspiel zur Freiheit sein – und berief sich auf die Revolution, berief sich auf die Menschenrechte und so fort, auf den Universalismus der Aufklärung. Aber die napoleonischen Truppen haben ihn in einen Hinterhalt gelockt, gefangengenommen, nach Europa gebracht, dort starb er in einem Gefängnis. Und ich möchte mich nun also genau nicht mit diesem bekanntesten aller Sklavenaufstände auseinandersetzen, denn ich glaube, er ist nur so bekannt geworden, bei der alten, westlichen, weißen, männlichen Linken, weil er auf Vernunft und Aufklärung setzte, weil er ein Seitenarm der eurozentrischen Bestrebungen derjenigen war, die die Französische Revolution getragen haben. Ich möchte das weglassen, und mich mit den dunklen, den mythischen, den irrationalen, den fremden, den anderen und abjekten Vorläufern von Toussaint befassen, denen, die das afrikanische statt das universalistische Wissen hatten und gebrauchten, den Vergiftern, nicht den Aufklärungshelden.«
    Ein Seitenblick verriet Dieter, daß man ihn dies gern sagen hörte, daß er ein Musterschüler war: Jürgen schien friedlich, voll der Anerkennung, eingeschlafen, und Jacques’ Nicken war so heftig geworden, daß es an einen der Puppendackel erinnerte, die man früher in Zentraleuropa hinten in Autos auf die Hutablage zu stellen pflegte, um Tierliebe und Spießigkeit zu demonstrieren. Das Andere, das Nichteuropäische, die verschwundenen Stimmen: Sie wollte man hören, dafür war das Erinnerungssymposium zusammengetreten, im Namen des solidarischen Pathos des Unbegrei flich en.
    Dieter legte sich, da es doch so gut lief, richtig ins Zeug und malte, wie er sich später lächelnd eingestehen mußte, ein richtiges Heldenporträt seiner Hauptfigur, des Sklaven François Macandal – ein »infamer Mensch« im Sinne Foucaults war das, ein Verrückter und Krimineller, wie der Franzose sie so gern untersucht hatte: »Anathematisiert von der Aufklärung, diszipliniert und unterdrückt, keine Lichtgestalt wie Toussaint L’Ouverture – er hatte Visionen, er war körperlich ›beschädigt‹, die Integrität des westlichen Körperbilds, nun ja, die hat er nicht … er war wirklich ein äh ›Anderer‹ in diesem Sinn. 1740 hatte er seinen Unfall, dann wurde er Schafhirt – das ist ein ganz altes mythisches Muster, das ist ein ganz alter nichtkriegerischer, nichtphallogozentrischer Diskurs, offenbar wird niemand von den höheren Mächten berufen, der nicht Hirte war, oder der nicht diesen Titel annimmt: Moses, Jesus, Mohammed … und das Vergiften gilt ja auch als etwas Weibliches, also das Nichtmännliche, Nicht-Phallogozentrische auch hier wieder … Männer, so hat man das im Krimiklischee, die erschlagen oder erwürgen oder schießen oder stechen … Nun, Macandal, dieser Sklave aus dem nordwestlichen Zentrum von Limbé, sprach aus Träumen, er träumte sie und interpretierte sie für seine Anhänger. Sein Gift gelangte überallhin, Brot, Medizin, Bier, das die Leute, wie der Ethnobiologe Wade Davis schreibt, getrunken haben, weil man dem Wasser nicht mehr traute … Die Chemiker und Kräuterkundigen unter den Kolonisten versuchten, die Herkunft der Gifte zu ermitteln, aber … ja, es war offenbar nicht möglich, das afrikanische

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