Für immer in Honig
wie Sie sagen, Transaktionen, der großen Schweinereien würde ich sagen – daß man sich dabei keine übertrieben rührse ligen Gedanken über die Opfer macht. Deshalb macht man ja Recherchen, deshalb stellt man ja Analysen auf, um das sozusagen zu korrigieren, um die vollständige Geschichte zu zeigen, in diesem Fall: Man könnte sagen, sie haben die Insel so lange systematisch zur Sau gemacht, bis man da nicht mehr leben konnte, dann haben sie den Rest abgeräumt und uns den Tisch, auf dem die Leute hier geschlachtet wurden, als sauberen neuen Eßtisch hingestellt. Ich wollte darauf hinweisen, daß es nötig ist, daß wir uns das klar machen.«
Jacques nickte die ganze Zeit, während Pohrt sich erklärte. Dieter Fuchs hatte das Gefühl, daß sich durch dieses Nicken irgendetwas aufl öste, eine Klarheit verlorenging, die Pohrt hatte erzwingen wollen, mit seinen Zahlen – wie viele Millionen waren es gewesen? –, seinen Daten – April Zweitausend, oder Zweitausendeins? –, seinen Namen von Verantwortlichen – Jeanne Alber, und irgendwelche Organisationen und Firmen. Jacques schaltete erneut das Mikrofon ein: »Sehen Sie, aber das ist das Problem, non? Wir sagen, wir führen Analysen durch, wir formulieren eine Kritik. Damit wollen wir sprechen, kompensieren, wir werden, wie es auf deutsch heißt, hilf mir, Jürgen: Fürsprecher.«
»Fürsprecher, ja«, bestätigte Jürgen und nickte nun auch, aber langsam, sein Kopf schien sehr schwer.
»Nun ist es aber, oder vielleicht irre ich mich, doch scheinbar so, daß sich – ich frage das hier, ich weiß es selbst nicht genau – das Verhältnis dadurch umkehrt«, fuhr Jacques fort, tastend, lächelnd, fragend, »wenn wir das Verhalten der Herrscher, derer, die ausgrenzen, derer, die anderen die Repräsentation verweigern, wie sie den Kredit verweigern – wenn wir deren Verhalten nachzeichnen, wie Sie das getan haben, wenn wir notieren und erzählen, was wer wann zu wem gesagt hat, wem getan hat, um durch dieses Sagen und Tun diese Abwesenheit herzustellen, diese Menschen auszugrenzen – daß wir dann plötzlich ebensowenig von den Menschen reden, um die es uns geht, daß wir sie ebenfalls ausgrenzen, indem wir stellvertretend für sie ihre Peiniger – ich wähle das Wort mit Bedacht, es sind Qualen, um die es geht, es ist Leiden – befragen, darüber, was sie getan haben. Wir verhalten uns, wenn wir in dieser Weise über, ich weiß nicht, die Weltbank, die Inter-American Development Bank sprechen …«
»Und die Kreuzerstiftung«, versuchte Pohrt feindselig, wieder ein Bein auf den Boden zu kriegen.
Aber der sanfte, fragende Singsang Jacques’ ersäufte seine Stimme, hypnotisierte die Anwesenden, lähmte den Mann am Podium selbst: »Wenn wir so darüber sprechen, dann grenzen wir die Menschen selber aus, dann verhalten wir uns selbst, als wären wir ihre Herren, ihre Richter. Ich versuche also zu verstehen, warum Sie diesen Weg wählen, sich dem Verschwundenen zu nähern, und ich frage mich, wieviel es damit zu tun hat – sehen Sie, ich frage gar nicht unbedingt Sie, ich frage ja mich selbst, ich frage mich, ob ich zuhöre, gut genug zuhöre – wieviel es damit zu tun hat, daß jener unheilvolle Diskurs sich fortschreiben will, auch in die Zeit nach der Katastrophe, jener Diskurs, in dessen Rahmen die Selbstbeschreibung der Katastrophe eben das katastrophale Moment zum einzig sichtbaren gemacht hat, am Ende, das heißt an dem Punkt, den wir paradoxerweise das Ende nennen müssen, obwohl er doch für uns, die Neusiedler der Insel, den Ausgangspunkt ausmacht. Ich weiß nicht, möchten Sie diese Frage vielleicht selbst beantworten?«
Pohrt schob seine Manuskriptblätter zusammen, hielt dem suchenden, forschenden Blick Jacques’ noch ein paar Sekunden stand und sprach dann in sein eigenes Mikrofon, erschöpft, beleidigt und keineswegs willens, die Frage, die ihm angeblich gestellt worden war, zu beantworten: »Blödsinn, kann ich nur sagen. Antworten kann ich nicht, höchstens zurückfragen, wie dämlich erwachsene Menschen sein müssen, wenn es möglich ist, mit so etwas auch heute noch Säle zu füllen, umstellt von dreißigtausend Soldaten, die uns vor den Kranken und sonstigen Überlebenden schützen. Ich kann in diesem ganzen Geschwafel nichts Besseres erkennen als so ein läppisches Kinderdenken, von wegen, ich rede ja hier genau wie die Weltbank: Was man sagt, das ist man selber. Nun ja. Schönen Abend noch.«
Er nahm seine Zigarette vom
Weitere Kostenlose Bücher