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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Wissen ohne weiteres in ein äh weißes Wissen zu übersetzen … die Inkommensurabilität der Weltzugänge äh …«
    Nach dem Referat beantwortete Dieter Fragen kenntnisreich und einfühlsam, wurde eines kurzen, sehr anregenden Wortwechsels mit Jacques über die immanente Widersprüchlichkeit des Begriffs »Gift« gewürdigt und fand, daß er sich alles in allem ausgezeichnet geschlagen hatte.
    3  An diesem Abend geschah das Zeichen.
    Dieter hatte einen neuen deutschen Freund gefunden, im Foyer, Jörg hieß er, und sie waren zusammen ins »Le Relais« gegangen, als die Vorträge und Diskussionen für diesen Tag zu Ende waren, »Bar Restaurant«, in derselben Straße wie das Gästehaus des Konferenzausschusses, und da hing am braunen Mauerwerk des Torbogens das erste Flugblatt mit Toussaints Bild: »Toussaint retourne« stand drüber und Dieter schüttelte den Kopf, während Jörg ihre Margaritas bestellte.
    »Hm?« fragte Jörg, als er sah, daß Dieter den Kopf schüttelte, und Dieter mußte lachen, leicht verlegen: »Das ist er, das ist der Aufklärungsheld, von dem ich gesprochen habe, das heißt – von dem ich eben nicht reden wollte, weil die anderen, die mit dem afrikanischen Wissen, immer in seinem Schatten stehen, weil er sich besser eignet für die universalistische Tradition der westlichen Linken – komische Koinzidenz, daß das heute …«
    »Ah, nein«, Jörg widersprach energisch, »keine Koinzidenz. Das ist hier so ’ne Volksbewegung – die sagen, er ist im Wald, er sammelt sein Heer. Er kommt zurück. Also, es scheint nicht ganz so zu sein, wie du denkst, daß sich die mythischen Sachen und die universalistischen, europäisch-vernunftgläubigen Sachen ausschließen, hm? Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das ist selber ein Mythos geworden, findste nicht?«
    »Na ja, Adorno und Horkheimer …«, holte Dieter aus, und dann kamen die Margaritas. Auf der andern Straßenseite, drüben, ging ein Weißer vorbei, den Dieter sehr unheimlich fand, in seinem weiten Mantel, mit seinen vielen Haaren – Rasputin, oder ein Moses des Bösen, dachte Dieter spontan, als jener, begleitet von zwei jungen schwarzen Frauen, einen knotigen, fast mannshohen Spazierstock in der Rechten, übern Platz stapfte. »Sieht aus wie Alan Moore«, sagte Jörg, seinen Drink an den Mund führend.
    »Wer?« fragte Dieter.
    »So ein Comicschreiber aus England. War sehr berühmt, vor dem Totentanz. Ging dann in Rente, wurde … ähm … Magier …«, Jörg war sich seiner Pointe nicht sicher: Das hätte man früher lustig gefunden, daß einer Magier wird, der sein Geld in der Kulturindustrie verdient. Dieter konnte nicht drüber lachen, sondern mußte das erste Mal seit Jahren an Valerie denken, apropos gar nichts, und war sich ziemlich sicher, daß das mit dem Kulturindustrierentner, der Magier wird, unter den veränderten historischen Bedingungen wahrscheinlich überhaupt niemanden mehr zum Lachen bringen konnte.
    Danach sprach man von Orchideen, mit denen Stefanie sich neuerdings träge beschäftigte, vom Plan, ein Opernhaus in Port-au-Prince zu bauen, von den drei Künstlerkolonien auf der Insel, neuen Ausstellungen.
    Jörg schloß bereitwillig auf jedem dieser Gebiete zu Dieter auf, denn plötzlich kam es ihnen beiden so vor, als sollte man vor allem nicht über den Mann mit dem Knotenstock sprechen, der stehengeblieben war, etwas in den Straßenstaub malte, dreimal drum herumging und dann um eine Ecke verschwand, gefolgt von seinen imposanten Leibwächterinnen.

Fünfzehnte Minidisc-Aufnahme
    F: Du bist andere. Andere sind du. Und zwar auch, äh, diachron: über Zeit. Wiedergeburt, meine ich. Ist das richtig so, hab’ ich das …
    J: Sozusagen, wobei, Vorsicht – erstens geht das nicht willkürlich, zweitens beschränkt es sich nicht darauf, Personen zu sein, drittens können nicht alle W alles sein. Manche sind Tiere, wenn sie wollen, andere sind Texte oder … Ich bin die Informationen, die ich besorge, mit denen ich arbeite und handle, deshalb weiß ich diese Dinge noch, die sonst keiner mehr weiß, oder jedenfalls wenige – die Musikantin zum Beispiel. Manchmal bin ich auch Leute, die ich eigentlich nicht bin, das geht aber nur, wenn ich viel über sie weiß. Was auch nicht bei allen W so ist. Es gibt Morphismen, Isomorphismen vor allem, die beschreiben, formalisieren, wie das geht, daß jemand ein anderer oder eine andere ist, manche passieren in der Zeit, andere im Raum, wieder andere in zusätzlichen

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