Für immer in Honig
werde. Das geschah. Auch der Zugang zu anderen versprochenen Krediten wurde verwehrt, die in den nächsten Jahren noch einmal vierhundertsiebzig Millionen Dollar ausgemacht hätten. Frau W Kidder, meine Hauptgewährsfrau für all das, hat sich, wie wir in Deutschland damals gesagt hätten, wirklich die Hacken abgelaufen, um rauszukriegen, was da vor sich gegangen war, und soweit sich das ermitteln ließ … also, beim State Department hat man sich nicht äußern wollen, aber jedenfalls würde man ein zu stark vereinfachtes Bild der Situation malen, wenn man es so darstellte, als wären es nur die US -Amerikaner gewesen, die diese IDB -Kredite sperren oder verhindern wollten. Es war eine konzertierte Aktion mehrerer amerikanischer Staaten, die sich schließlich mehr oder weniger legalistisch zurückführen läßt auf ein Treffen der OAS namens ›Quebec City Summit‹ vom April 2001. Da wurde eine Erklärung abgegeben, von wegen die Aristide-Regierung solle mal bitte die Menschenrechte mehr respektieren und die Wahlen in Ruhe lassen etc. – Aristide, Sie erinnern sich, der Befreiungspfarrer mit leicht autokratischen Zügen, der nach Duvalier hier der Hoffnungsträger war, dann hat ihn Bush Senior nicht unterstützt, dann gab es wieder den regionaltypischen Diktaturkram, dann hat Clinton ihn reinstalliert und unter Bush Junior wurde er wieder weggejagt. Das einzige Problem dabei: Das Quebecdokument, das für die Kreditsperre der Grund sein soll, ist auf den 22. April 2001 datiert, aber der Brief vom IDB -Direktor aus Amerika, der darum bittet, das Geld nicht loszulassen, stammt schon vom sechsten April desselben Jahres. Das Ende ist, wie man so sagt, antiklimaktisch: Da ist Aristide abgeschossen worden, auf eine Art und Weise, die man immer noch nicht ganz klar nachzeichnen kann, und danach wird es für den Historiker richtig unübersichtlich – irgendwas Militärisches scheint passiert zu sein, als die Kadaver anfingen, den Leuten auf den Leib zu rücken. Ich habe dafür keine Zahlen mehr, ich weiß nicht, wer, wen, wann, wieviel. Aber wer was draus lernen will, aus allem, was ich gesagt habe, wird’s auch so können, nehme ich an. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.«
Der Beifall, den der Stuttgarter dafür erntete, war mäßig.
Er stand auf dem Podium und streckte das spitze Kinn vor, eine Art schwäbischer Robespierre, als erwartete er, daß der eigentliche Spaß jetzt erst anfinge, mit der Befragung, dem Tumult, der Schande, den Vorwürfen betreffs Nestbeschmutzung. Niemand jedoch rührte sich, bis Jacques, am langen Tisch der Schirmherren dieser Veranstaltung, lächelnd den Kopf schüttelte, das Mikrofon im kleinen Kippständer vor sich ergriff, es nah an sein Gesicht schob und dann in sorgfältig artikuliertem, leicht schnippischem Englisch fragte: »Ich sehe nicht ganz klar, Monsieur, Sie müssen meine Unwissenheit entschuldigen, aber was möchten Sie uns eigentlich sagen? Sie sprechen von einer Bank, von einem Kredit. Sie sprechen mit Wut und Emphase, denn Sie möchten wohl sagen: Es ist eine Schande, daß man dieses Land abhängig gehalten hat, daß man versucht hat, auf dem Boden dieses Landes – und es ist ja kein Land mehr da, aber der Boden ist noch da, darüber werden wir uns zu unterhalten haben – den Willen der reichen Amerikaner durchzusetzen, indem man die Menschen hier hat auf schlechten Straßen laufen lassen, ihre Gesundheitsversorgung hat verkommen lassen – Sie sagen, wenn ich Sie recht verstehe, und diese Empörung teile ich natürlich: Man hätte jenen das Geld geben sollen. Aber hätten sie das Geld erhalten? In den Transaktionen, um die es geht, spielen die Leute, die jetzt nicht da sind – die tot sind, nicht wahr, um die wir trauern, nicht wahr, an die wir uns erinnern wollen –, offenbar keine Rolle. Sie waren damals schon abwesend, soweit es diese Geldströme anging: Die Herren ihrer Herren haben diesen Herren das Geld verweigert, Aristide war keiner der Kranken damals, er ist keiner der Kranken jetzt. Ich höre, er lebt in Nordamerika.«
Pohrt war verdutzt, es gelang ihm wie den meisten Anwesenden nicht wirklich, die vielen sorgsam ineinandergebrezelten Stränge der jacquesschen Rede zu entflechten. Was war das gewesen: eine Frage, ein Einwand, eine Ergänzung? Da Jacques ihn offen und ohne Arg ansah, als er mit seinem Wortbeitrag am Ende war, fühlte Pohrt sich vage in die Defensive manövriert und sagte: »Es ist eben das Wesen der großen Politik, der großen,
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