Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
Vom Netzwerk:
Kugelschreiber. Aber die Mine war immer ganz schnell leer, ein halbes Jahr Zahlen und Gleichungen schreiben und schwupps. Die Minen konnte er sich nur bei dem Laden besorgen, wo der Füller her war, bei Tiffany – wie in dem Film mit Audrey Hepburn. Damals gab es nur zwei Tiffany-Niederlassungen in Deutschland, eine in äh … Berlin oder München, weiß nicht mehr, und die andere hier in Frankfurt, wo wir wohnten – und eines Tages, nach dem Mittagessen, gehen wir also zusammen durch die Goethestraße, diese dolle Einkaufsgegend da, wo man Armaniklamotten gekriegt hat und diesen ganzen Dreck für die Besserverdienenden, für die lackierten Bankersgattinnen und so fort. Da gehen wir also zu Tiffany, damit er sich eine neue Mine für seinen Schmierstift kaufen kann, und ich latsche halt mit, und auf einmal sagt er zu mir: Bleib bitte draußen, das macht einen schlechten Eindruck, mit der Hose da. Ich wußte gar nicht, daß meine Hose so übel war, aber ich stand da draußen und dachte zehn Minuten: Warum läßt du dir das bieten, warum bleibst du hier und rennst nicht weg, warum wartest du auf diesen Sack, der das wahrscheinlich auch noch lustig findet, ich meine, sind wir bei Victor Hugo im … Armenroman … oder … was …« Ein heftiger Hustenanfall rüttelte den Brustkasten des Generals ordentlich durch.
    Dann schenkte er nach, kippte, schenkte wieder nach. Schließlich fing er leise an zu lachen, nahm drei Blatt eng bedrucktes Papier vom Tisch – sie zitterten ein wenig in seinen Händen, der Mecklenburger sah’s mit Sorge –, fächerte damit ein wenig rum und sagte: »He … he he … weißt du, wie ich mich genannt habe, als ich anfing mit der Sicherheitsberaterscheiße?«
    Es schien keine rhetorische Frage zu sein, denn die Pause danach war zu lang dafür, also sagte der Mecklenburger: »Äh, nein. Sie haben es … soweit ich weiß, nie erwähnt.«
    »Matjasewitsch. Den Namen … den Decknamen habe ich mir selber ausgedacht. Weißt du, wer Matjasewitsch war?«
    »Ein … ein Russe?«
    »Ein Russe, mach Sachen. Genau. He he he. Ein Russe, und zwar ein Mathematiker – geboren 1947, gestorben erst vor kurzem, vor zwei Jahren, während der letzten großen Rotfeuer-Pandemie in Eurasien, an einer Krankheit, muß man sich vorstellen – das hat immer was besonders Ärgerliches, wenn ein Genie, wie damals Hegel an der Cholera … ach Gott. Er hat das zehnte Hilbertsche Problem gelöst – das war so eine Denksportaufgabe, die der alte Hilbert den Kollegen aufgegeben hat, vor über hundert Jahren; es ging darum, ob es ein Verfahren … gibt, mit dem man entscheiden kann, ob eine gegebene diophantische Gleichung mit … irgendwelchen Unbekannten und ganzen rationalen Zahlkoe ffizi enten in ganzen rationalen Zahlen lösbar ist … und Matjasewitsch …«
    »Hat so ein Verfahren erfunden«, sagte der Mecklenburger, um gelehrig auszusehen, aber Reuland wedelte wild mit den Papieren: »Bockmist! Verfahren erfunden, he he … nix! Er hat gezeigt … aufbauend auf der Arbeit von Julia Bowman Robinson, Martin Davis, Hilary Putnam und andern … daß so ein Verfahren … nicht existiert. Und weißt du, warum das wichtig war? Weil das besonders diskrete Mathematik ist, Junge! Weil man das für … Computermist brauchen kann und … genau wie … genau wie das, was anscheinend diese Negerin … für Späth …«
    Reuland brach ab, senkte den Kopf, sackte auf seinem Stuhl zusammen, schwieg und verfiel in düsteres Stieren. Dann drehte er sich im gutgepolsterten Stuhl etwas nach rechts, nahm die Brille vom Tisch, setzte sie riskant schief auf die Nase – der rechte Bügel hing nur gerade eben noch am Rand des Ohrs, der linke stand ganz vom Kopf ab. Der General murmelte: »Ihr habt ihn beobachtet … den Alten von der Negerin … und dann wann kassiert …?«
    »Letzten Mittwoch.«
    »Und seither … verhört … unter … unter dieser Droge, die …«
    »Seine Erinnerung aufschließt – auch solche Erinnerungen, von denen er selbst nichts weiß.«
    »Hmpf. Aber es steht nix Nützliches hier drin? Nichts, was uns sagt, woran sein Weib gearbeitet hat?«
    »Soweit ich weiß …«, der Mecklenburger zuckte mit den Schultern, »… nichts Konkretes, nein.«
    »Hmmpf«, machte Reuland und schob die feuchte Unterlippe vor, beim Lesen des Dokuments:
    Nein, ich kann mir nicht vorstellen, wo sie hin ist. Sie könnte überall sein. Daß sie sich auf der ganzen Welt auskennt, hab ich ja gewußt, lange bevor sie verschwunden

Weitere Kostenlose Bücher