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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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all diesen Eindrücken zu etwas Ungeheuerlichem, Satanischem, er war sich sicher: Gleich falle ich um.
    Ein absurder Fluchtreflex biß ihm ins Genick: Hör halt auf zu klingeln, lauf über den Rasen auf die Goethestraße, überquer sie, renn dort auf die Wiese, wirf dich da hin, roll den Abhang runter zum Bach, bis du ins niedrig stehende Plätscherwasser fällst. Oh genau: Dann könnte man mit dem Gesicht nach unten da drin liegenbleiben, bewußtlos, gescheitert, besiegt.
    »Wennd Sie züe de Frau Flasch?«
    Eine als Sprache getarnte Flammenwand wehte aus dem Maul der Wäschematrone, die ihren Korb jetzt abgestellt hatte. Er hätte die Frage im selben Dialekt beantworten können, nichts davon war vergessen, wurde ihm augenblicklich und bestürzend klar.
    Zum Glück besaß er noch genügend Geistesgegenwart, auf hochdeutsch, mit lebensrettender Distanz, leicht krächzend zu erwidern: »Ich möchte zu Frau Flasch, ja.« Der Trick, so bescheiden er war, funktionierte sogar. Das Ungeheuer gab sich Mühe, Anschluß an die zivilisatorischen Standards einer Welt irgendwo anders, in den größeren Städten, zu finden, die sie zugleich bestimmt beargwöhnte: »Die isch … ischt nicht da, um die Zeit goht sie immer zu ihrer Freundin, de Frau Siebler in de … der Wißbergerschtrohß.«
    Hauptkommissar Derrick wäre nicht respektvoller behandelt worden, registrierte Philip befriedigt und nickte ihr zu: »Dankeschön.«
    »Wißberger Acht!« rief ihm die Frau nach, als er ihr den Rücken kehrte und sofort losging.
    Verkehrsdurchsagen laberten ihren Kram durchs Küchenfenster in die desinteressierte Gegend, trompetenlaut den Unsinn übertönend verschaffte sich der Mann der Breitmäuligen Gehör, dem mit erheblicher Verzögerung eingefallen war, daß er sich nichts gefallen lassen wollte: »Was brüllsch jetzt au no auf der Schtroß alli Lütt zamme? Irgendwan werdi nomol verruckt, und denno machi di kalt!«
    2  Aus Stuttgart war er die unvermeidlichen Hintergrundtumulte städtischen Lebens gewohnt.
    Deshalb dachte Philip sich nichts dabei, als er, noch auf der Stettiner Straße, vor dem Abbiegen in die Wißbergerstraße und auf der Höhe der Schirnerschen Metzgerei, einen wahren Furienchor aus Feuerwehrsirenen, Martinshörnern und Krankenwagengeheul aushalten mußte, schlecht fürs Kopfweh, aber nichts Besonderes.
    Als Neubürger war ihm das in Stuttgart nachts immer besonders be klemmend aufgefallen, die hohe Rettungswagensignalfrequenz. Oft hatte er dann an das Feuer im Dammweg 1987 gedacht, den einzigen nicht mit Proto-Zombotikerproblemen oder Nazibrandanschlägen verbundenen größeren Unglücksfall mit Gaffern und Absperrungen, den er während seiner Zeit in der Kleinstadt erlebt hatte.
    Sie waren alle beim alten Kanal gestanden, am Auto-Wenderondell Bühlmattstraße, hauptsächlich Kinder und Jugendliche, auf ihren Fahrrädern oder mit Skateboards, in Fußballklamotten, vom nahen Bolzplatz dazugelaufen, auch ein Hausmeister eines der Bühlmattwohnblocks im Blaumann, außerdem eine Rentnerin, zwei Hausfrauen und der eine oder andere Arbeitslose.
    Der Junge aus der Parallelklasse, dieser unheimlich blonde und blasse – hieß er nicht Arthur? –, stand ganz vorn, wurde immer wieder angepflaumt von den Bullen.
    Arthur hatte wetten wollen, damals, daß die Feuerwehr, weil im Dammweg nur »Asoziale und Ausländer« lebten, sich so schnell nicht blicken lassen würde.
    Die Polizei war allerdings schon da. Niemand war auf das Wettangebot eingegangen, denn natürlich hatte Arthur recht gehabt.
    Daß der Unfall, dessentwegen jetzt die Sirenen heulten, den Brand von 87 hinsichtlich der Größenordnung des Sachschadens vermutlich übertraf, wurde Philip klar, als er die Stettiner Straße schließlich verließ, immer noch gemessenen Schritts, und beim Abbiegen fast umgerannt worden wäre, vom jüngeren Lehrling des Metzgers Schirner. Er wich dem Jungen aus und wäre fast mit zwei Frauen zusammengestoßen, die gerade ihr Haus, Wißbergerstraße 2, verließen, erregte kapitolinische Gänse: Sie hatten sogar die Arme angewinkelt, stummelige Flügelchen, und schnatterten um ihr Leben. Wovon sie schnatterten, konnte Philip nicht verstehen – es war zu laut hier, die Autos, die Rufe, was denn?
    Hitze traf ihn hart von vorne und ließ ihn zurückschrecken – sengt mir das jetzt wirklich grad die Augenbrauen an, oder träume ich im Wachen? Viele Leute standen auf der Straße oder sahen über schwarzen Hecken aus ihren

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