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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Reihenhausfenstern – zu viel los hier, dachte Philips schwerer, verschmierter, angetrunkener Kopf defensiv. Muß ausweichen, abtauchen. Bloß wohin?
    Abermals wurde er geschubst, und gleich noch einmal. Gut zwei Dutzend Menschen drängten sich hinter und neben dem großen Feuerwehrauto drei Häuser weiter, sechs freiwillige Feuerwehrleute werkelten geschäftig.
    Philip blieb neben einer Telefonsäule stehen – hier haben sie die also auch, anstatt daß wenigstens in den Kleinstädten die alten Zellen stehenbleiben, grübelte er zerfahren.
    Konzentrier dich, Junge. Was geht hier vor?
    Zwei Drittel des höheren Himmels wurden von einer schwarzen Rauchsäule verdeckt, trichterförmig, oben breiter als unten. Auf der Erde liefen die Gaffer jetzt durcheinander, erst glaubte Philip, daß das keine Ordnung hatte, dann begriff er, daß von weiter oben, Richtung Königsbergerstraße, unter enormem Lärm ein Krankenwagen heranfuhr, dem die Leute Platz machten. Das starke Götterbein aus stygischem Rauch stand fest im Haus, welches brannte und dessen Erdgeschoß vom Feuerwehrauto verdeckt war. Das Dach existierte nicht mehr. Die Frontwand war oben zackig angerissen, wie ein abgebrochener Backenzahn. Rauch im Wrack: Ein Kaktus ragte aus dem Blumentopf, Keule mit Fetzen drin, assoziierte Philip, halt, was ist das, Stacheln? Woher kommen die? »Pass doch uff, wo de läufsch, du Depp!« fuhr ihn ein nur aus Nacken und strammen Hosen bestehender Mann an und schubste Philip weg. Der mußte grinsen: Paß auf, wo du läufst, der war gut, wo ich doch gar nicht laufe, sondern wie hingebeamt und abgeschaltet hier stehe und das Zeichen anstaune.
    Die Stacheln, die er bemerkt hatte, lösten sich in kleinen Schwärmen aus dem Rauchkörper, setzten sich ab, schwebten, diffundierten in die vibrierende Luft um den ausgebombten Dachstuhl.
    Einige segelten schließlich da, wo Philip stand, zur Erde. Fall schirmspringenden Ameisen gleich setzten sie sich auf seine Schultern, seinen Scheitel, seinen Nasenrücken, seine Hand.
    Die hielt er sich schließlich vors Gesicht und erkannte zwischen den Härchen auf dem Handrücken, daß es Ascheteilchen waren, nadelspitz und klitzeklein, sofort schwarz verschmiert, wo sie auf der Haut sich mit seinem Schweiß vermengten.
    Philip schaute geradeaus, überwand unter Mühen seine Konzentrationsschwäche und sah, verstand, erfasste endlich die Hausnummer in Plastik, das wie Holz aussehen sollte, die Ziffer über der Glastür des Blocks, neben dem er stand:
    5 .
    Dann blickte er hinüber zu dem Feuerwehrauto, dem Aufl auf, der Lärmquelle.
    Sein Hirn schätzte die Abstände, die ungefähre Mächtigkeit der Menschenmenge – ja, jetzt waren es mehr als zwei Dutzend – und erriet richtig, daß das Haus, das da explodiert war, also die Nummer 8 sein mußte, wo seine alte Lehrerin Frau Flasch zum Zeitpunkt der Explosion, die von einer defekten Gasleitung verursacht worden war, mit ihrer besten Freundin aus dem evangelischen Kirchenchor, der schwer rheumakranken Frau Haller, gerade beim Tee gesessen war.
    Daß er die Eigentumswohnung im Parterre samt Salatgarten und Parkplatz, deren Klingel er vor zwanzig Minuten gedrückt hatte, einer nicht besonders alten testamentarischen Verfügung folgend, nun also erben würde, konnte Philip noch nicht wissen. Daß zur Hinterlassenschaft der gutherzigen Frau auch eine Menge schwierigster Probleme rund um den Jugendtreff in der Altstadt gehörten, daran konnte er noch nicht denken.
    Er dachte überhaupt nicht mehr allzuviel Neues, jetzt, da der wichtigste Gedanke des Augenblicks sich setzte: Sie war da drin, und dann ist das dort hochgegangen, dieses Haus.
    Die Ruine glühte, nieste Rauch, hustete Asche.
    »Wie hieß die eigentlich noch mal?« murmelte Philip verträumt. »Meine Frau in … in Stuttgart … die hatte doch einen Vornamen, oder?«
    3  Nach dem Brand fiel die Zeit die Treppe runter, vier Absätze auf einmal.
    Anderthalb Monate erst war Philip Klatt schließlich wieder in seiner Herkunftsstadt, und es gefiel ihm besser als in jungen Jahren je. Nichts hatte zeitlebens besser geschmeckt als der billige italienische Rotwein aus dem Aldi, keinen ihm erinnerlichen Menschen mochte er lieber auf der Welt als »seine Leute« vom Treff: den Punk Andy, seine pummelige Freundin »Fette« – »I nenn mi selber so, weil i öfter Pommes in de Fress hänge ha als e Ketteraucher Zigarette« – sowie die beiden drogenabhängigen Thirtysomethings und Teilzeitobdachlosen Zetta

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