Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
Vom Netzwerk:
und »Teufel«, nirgends schließlich hielt er sich lieber auf als so nah wie möglich beim Geländer der dreistufigen Treppe zum Eingang des städtischen Zentrums aller ungeliebten Jugendlichen und alterslosen Verlorenen.
    An seinem Ankunftstag war er genau an dieser Stelle noch belämmert rumgestanden und hatte eine von Andy, Fette und Teufel zusammen verfasste Erklärung gegen Drogen und selbstzerstörerischen Krawall gelesen.
    Im Augenblick, subjektiv Erdzeitalter später also, saß er vor der Treppe auf dem Kopfsteinpflaster, rauchte mit Andy Haschisch und ließ sich von dem Jungen, der vor einem Jahr, kurz vor dem Abitur, wegen schweren tätlichen Angriffs auf seine Biologielehrerin vom Gymnasium geflogen war, umständlich erklären, warum der kein Konto bei einer Bank hatte und auch nie eins haben würde.
    Fette und Zetta bespritzten einander im Innenraum derweil mit Kaffee aus Pappbechern und Teufel las niemand Bestimmtem einen Artikel aus einer eben unterm Waschbecken von ihm gefundenen alten Bildzeitung vor, in dem es um eine einunddreißigjährige Schlagersängerin ging, die auf einer Tournee einen Schlaganfall erlitten hatte: »… wird von ihrem Wischga… wischgast…«
    »Visagisten«, schrie Fette hilfreich, die den Artikel schon gelesen hatte.
    »Des isch der, wo ihr die Fress schminkt.«
    »Visagisten«, zerkaute Teufel also noch mal theatralisch jede Silbe, »für ihren Auftritt geschminkt. Sie hat sich den ganzen Tag schon nicht gut gefühlt, will das Konzert aber auf alle Fä… Fälle geben. Dann plötzlich die furchtbaren Symptome …«
    »Furzen und Angschtanfall!« krähte Zetta. Fette schimpfte: »Des isch nit luschtig, des ka jeder kriege, so e Herzanfark… anfall!«
    Philip, der dem Treiben im Laden kurz mit einem Ohr gelauscht hatte, um seine pflichtgemäße Obsorge nicht tiefer durchhängen zu lassen als üblich, wandte sich Andy zu, dessen kleiner, lediglich von ein paar absichtsvoll groben Akzentnoten alemannisch gefärbter, sonst locker hochdeutscher Vortrag gerade wieder Fahrt aufnahm.
    Das Leben hier hatte inzwischen Formen angenommen, war regelhaft und überschaubar geworden: Alle zwei Tage stapfte Philip aufs Rathaus, um dafür zu kämpfen, daß Frau Flaschs Wunsch, er möge ihre Arbeit weiterführen, von der Stadt in irgendeiner Form eine Art o ffizi ellen Segen empfing, daß man’s ihm schriftlich gab. Der Kerl vom Ordnungsamt, Maschinger, hatte ihm gleich bei seinem ersten Besuch in dem kühlen weißgestrichenen Bau am Rathausplatz zugesichert, daß man den Laden nicht dichtmachen würde, solange jemand dort war, der morgens und abends die Tür auf- und abschloß, irgendeine Art Sozialprogramm mit diesen Menschen durchzog – »Ruhig was ganz Lockeres, reden Sie mit denen übers Wetter oder spielen Sie Domino, dann machen Sie auch nicht weniger, als die alte Flasch, Gott hab sie selig, und ihre Isabella hier jahrelang veranstaltet haben. Es reicht wahrscheinlich, wenn Sie verhindern können, daß die sich auf der Treppe vor dem Laden einen Heroindruck setzen. Und sehen Sie zu, daß das Mobiliar nicht zu oft kleingehauen wird – wobei, o.k., der Hausmeister vom Gymnasium, unser lieber Herr Schippel, war mit der guten Frau Flasch eng genug befreundet, um immer wieder neue Stühle und Tische aus dem Keller rauszurücken, morsch und vollgekritzelt, aber immerhin. Wenn ich so drüber nachdenke: Sie selber, Herr Klatt, werden ja zu denen gehört haben, die diese Tische und Stühle ursprünglich mal benutzt haben. Die Welt ist klein.«
    Die reine Wahrheit: Philip hatte in zweien der Tische, die jetzt im Treff rumstanden, Metallica- und Iron-Maiden-Logos entdeckt, die durchaus von ihm stammen konnten, oder von Robert, Karl oder Jenny. Und jetzt wurden auf den alten Billigholzplatten Tabakkrümel zerbröselt, nasse BILD -Zeitungen glattgestrichen, what a crazy planet.
    Leicht bedröhnt, wie Philip gerade war, machte es ihm nicht das geringste aus, daß er keine Helfer, keine Helferinnen hatte bei seinem sozialen Tagewerk. Er jedenfalls vermißte die ominöse, untreue Isabella nicht.
    Nur ein einziges Gespräch mit ihr hatte er geführt, bevor sie endgültig aus der Stadt weggezogen war, ein denkbar uninspiriertes, wie Gespräche am Rande von Beerdigungen eben sind. Nach der kargen evangelischen Begräbniszeremonie – nicht viele Trauergäste hatten hingefunden: zwei alte Kollegen, vier ehemalige Schüler, keinerlei Verwandtschaft, sie hatte wohl gar keine lebendigen Angehörigen

Weitere Kostenlose Bücher