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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Suff am Schreibtisch, seine fruchtlosen Grübeleien und Wahnepisoden nicht gönnen wollte, nicht mal am Wochenende, nicht hassen zu müssen.
    Nicht bloß aus Liebe: Es wäre, ahnte er die ganze Zeit unter Gewissensbissen, gefährlich gewesen, diese Frau zu hassen. Sie war nämlich, anders als er, mit Leib und Seele Lehrerin und tat deshalb nichts lieber, als Leute, die sie so etwas wie Haß spüren ließen, zu erziehen, zu verbessern, zu begradigen.
    Diesem Horror auszuweichen war sein einziges Verlangen, wenn er in ihrer Gegenwart Dritte verspottete: »Die lacht wie einer von diesen Lachsäcken aus dem Scherzartikelladen, oder wie diese Schüler, die in Sexualkunde die ganze Zeit gackern.«
    So ging das, oder, beim Spazierengehen: »Schau dir diese Ratte an, an der Leine, soll wohl ein Hund sein, so was führen die aus und sind noch stolz drauf.«
    Früher, kurz nach dem Kennenlernen, während der längst versunkenen Zeit der wahren Liebe, hatte sie über solche Beobachtungen manchmal mit ihm gelacht, da war er sich dann mächtig witzig vorgekommen. In der Endphase, als die Theaterbesuche zwanghaft wurden – die ­Kollegen X und Y kommen auch, mit denen können wir danach ja noch nett einen Wein trinken gehen – und die Hinterhofkontrollen immer sentimentaler – schau bloß, der schöne Balkon, ein Jammer, daß sie das alles so verkommen lassen hier – wies sie ihn für seine sarkastischen Verunglimpfungen von Nonkombattanten dann meist bitter zurecht, treffsicher ahnend, daß die Maulerei im Grunde ihr galt: »Was hast du denn, laß sie doch lachen.« – »Sei doch nicht so gemein, der alte Mann ist vielleicht Witwer und hat bloß noch diesen Hund, ist vielleicht sein einziger Trost.«
    Überhaupt setzte sie ihn, sooft es ging, moralisch ins Unrecht. Bald konnte er in seinem mehliger werdenden Kopf da nicht mehr mithalten und grummelte nur noch im Stillen: Gemein, muß die grad sagen, blöde Hexe. Wer schnauzt denn an der S-Bahn-Station den Penner an, der einen Euro haben will, und kauft dann zwei Meter weiter in Sichtweite des Penners am Kiosk einen Stapel Zeitschriften?
    Und was heißt hier, ich mache ihr das Leben sauer? Scheiß auf ihre Beschwerden, jeden Sonntagabend mäkelt sie, daß sie wieder nicht dazu gekommen ist, was zu lesen, sich »den Kopf dafür freizumachen«, der unter der Woche mit Aufsatzkorrigieren und Elterntelefonaten und Besprechungen vollgerotzt wird, verlogene Litanei, wer will denn dauernd ins Theater oder ins Konzert, wer verplemperte den Sonntag mit idiotischen Spaziergängen und sprachlosen Museumsbesuchen?
    Bald waren beide Gefangene einer Bosheit, die ihre zerrütteten Lebensentwürfe transzendierte, längst ohne Urheber war und sogar ohne Opfer, einfach die Gemeinheit der Konstellation selbst.
    Schuldigo: schlechter Lehrer, unfähiger Ehemann, verkrachter Mathematiker, gescheiterter Superheld, abgefallener Adept des …
    Die fremde Frau, die so laut geschimpft hatte – es mußte diese sein, der breite Mund sah genau so aus, wie der Mund zu jener Keifstimme aussehen mußte –, kam jetzt drüben aus der Tür, mit einem enormen lila Wäschekorb unter zwei riesigen Brüsten, der an ihre beiden dicken Arme gehängt war, als wären das zwei Dachbalken.
    Sie hatte ein bleichgewaschen blaues Kleid an, trug eine gelbe Schürze. Ihr Haar war stumpf und schulterlang. Verbissenen Gesichts schleppte sie den Wäschekorb, der zum Bersten voll war und dessen Boden gewiß hätte durchbrechen müssen, wenn er aus etwas anderem als hochelastischem Plastik gemacht gewesen wäre, stapf, stapf, zur Wäschespinne in der Mitte des Rasens. Feindselig erwiderte sie Philips schuldigen Blick, ganz richtig, wenn auch vermutlich vollständig unbewußt, erriet sie, daß der Mann, der da so blickte, eine Entlarvung fürchten mußte, die ihn vernichten würde.
    Alles das war grauenhaft: Klingeln, die Frau beobachten, Sodbrennen spüren, Kopfschmerzen, den trockenen Mund und das hohle Herzklopfen, Gedanken an Frau Flasch, an das Wort und die Befindlichkeit »Lehrer«, die Philip schon so lange wie eine Krankheit und ein banales, aber schreckliches Rätsel vorkamen, dessen Lösung alles erklären würde, dazu der harte Sonnenschein, Kinderschreie aus mittlerer Distanz, ein Radio, das jetzt in der dunklen Küche angeschaltet wurde und sofort Werbung für Möbelhäuser und Trendgetränke brüllte.
    Das miese Arbeitslosigkeitsgefühl, im Moment gerade wirklich nirgendwo gebraucht zu werden, vermischte sich mit

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