Für immer in Honig
sie jetzt fast mehr mit »meiner Freundin« redete als mit mir. Ich war aus dem Rennen, durfte noch mitlachen über die neuesten Schröderwitze oder Talkshow-Anspielungen; da kannten sich beide gut aus, Stefanie aus beru flich en, Valerie aus Teenagergründen.
Als Stefanie gegen halb fünf erstmals von Aufbruch redete, schloß sich Valerie an, wie man sich einer Vertrauten anschließt: »Ja, ich müßte auch mal heim, hab noch was zu lesen für Geschichte. Bringst du mich noch heim?«
»Klar!« sagte ich und wäre fast zurückgeschreckt, als sie sich zu mir neigte und einen kleinen, vermutlich gerade noch erlaubten Kuß plazierte. Lippen geschlossen, Gott sei Dank. Ich traute mich nicht, danach Stefanie anzusehen, sondern schaute lieber Valerie ins Gesicht – in die hübschen grünen Augen vor allem, und dachte dabei daran, wie es wohl Schauspielern gehen muß, bei Liebesszenen. Ein furchtbarer Beruf, eine furchtbare Situation. Denn man kann ja nicht sagen, oder zeigen, was man eigentlich denkt, nämlich: Jessas! Laß das! Ich bin doch nicht pervers! She’s so contagious, she turns my pages.
Aber darauf habe ich mich jetzt eingelassen, da muß ich jetzt durch. Ich habe sie selbstredend nicht nach Hause, sondern nur bis zur Straßenbahn gebracht. Die Händchenhalterei, das Aneinanderlehnen, überhaupt alle Turtelgesten waren sofort abgestellt, beiderseits, sobald Ste fanie Mehring sich zwei Straßenkreuzungen von den Kunstwerken entfernt von uns verabschiedet hatte.
So ist es gewesen, das Debüt.
Abwarten, was dabei rumkommt. Ich habe jedenfalls keine andere Wahl, als nachher Judith alles zu erzählen. Weiß der Teufel, was dann passiert – der Teufel, muß ich denken, der bist Du, mein lieber Michael.
Ich hoffe also, Du hast wenigstens Spaß an diesem taktlosen Auftakt einer blinden Katastrophe.
So dächt’ ich. Nächstens mehr,
Robert
ZEHNTES KAPITEL
Wohin soll ich mich wenden? • Oben: Rauch • Nett beieinanderhocken
1 Philips Wangen glühten wie bei einer Schwangeren, so fühlte es sich zumindest an.
Ob sie wirklich apfelrot waren, wollte er nicht wissen.
Die drei Kirschwasser, die er getrunken hatte, waren ausreichend gewesen, das Zittern abzustellen, beschleunigten die Zirkulation des Blutes und gaben dem Herzschlag etwas Hall zurück. Das mit dem Herzen war immer das Übelste: Es hatte sich für Philip schon wieder so angefühlt, als schlüge das Ding nur noch hohl, wie ein Korken in einer Blechdose herumschnickt, wenn man sie schüttelt.
Die zwei Schnäpse hatte er im Penny-Markt gekauft, statt im Hotel was zu sich zu nehmen; irgendwie fürchtete er konfus, Frau Flasch könnte den Schuppen überwachen lassen, durchs Personal, oder mit Kameras, intelligenten Stubenfliegen, Geistern. Vielleicht brauchte sie, um zu wissen, was er trieb, auch nur in eine Glaskugel zu schauen. Dann wäre auch der Umweg übern Supermarkt vergebens gewesen. Wo kamen jetzt diese Einfälle her? Verzeihung. Nein: »Schuldigo«, sagte Philip, öffnete den viel zu engen Hemdkragen und lachte zaghaft. Woher kannte er jetzt das, Schuldigo, was war das für ein Wort? Ah ja, der italienische Lover von Jennys Mutter, wie hatte er noch geheißen? Dem tat jedenfalls ständig alles leid, der hatte diesen gehetzten Blick lebenslanger Prügelknaben, und obwohl er damals schon ein Jahrzehnt in Deutschland gewohnt hatte, konnte er, weil niemand vernünftig mit ihm redete, noch nicht mal Jennys Mutter, immer noch nicht besser Deutsch als …
»Als Schuldigo eben. Sein Dauerwort für ›Entschuldigung‹. An was für einen Quatsch man sich erinnert, wenn man … so am Arsch ist wie ich. Schuldigo. It’s a gutter ballet.« Songzeilen: Rock von seinerzeit. Spaziergänge in der Altstadt, mit dem Walkman. Das Herz voll Jenny, die Ohren voll Krach.
Flirrende Hitze bebte kaiserlich, als eine Art Bauwerk, zwischen den Kastanienbäumen auf der Zufahrt zu dem wenig bemerkenswerten Mehrfamilienhaus aus den fünfziger Jahren, in dem Frau Flasch wohnte. Das Ding stand nicht allzu weit entfernt von dem Gymnasium, in dem sie ihn und seine Freunde unterrichtet hatte.
Ein kleiner Vorgarten mit zwei Sonnenblumen, allerlei Kraut und Rüben und einer Reihe appetitlicher Salatköpfe sah für Philip viel zu sommersaftig aus, von so einem Anblick wurde ihm im Moment einfach schlecht. Er räusperte sich, fuhr mit der Hand durchs volle braune Haupthaar, als gelte es, sich für eine ernste Unterredung mit einem mächtigen Vorgesetzten zu
Weitere Kostenlose Bücher