Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
einen Türspalt sah sie, dass in den kleinen Räumen Fernseher an der Wand hingen. Es lief ein Film, in dem zwei Männer sich gegenseitig sexuell befriedigten.
„Wir haben auch eine Heterobox“, erklärte der junge Mann stolz und führte sie eine Tür weiter.
Auch hier hing ein Fernseher an der Wand: Auf dem Bildschirm wurde eine junge Frau gerade von zwei Männern gebumst. Mehr wollte Ayse eigentlich nicht sehen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Kabine schnell wieder. Dabei fielen ihr an den Seitenwänden mehrere Löcher auf, die sie vorher gar nicht bemerkt hatte. Jetzt sah sie den schwachen Schein von Licht hereindringen. Wahrscheinlich von den Fernsehern in den Nebenboxen.
„Und wozu sind die Löcher?“ fragte sie schnippisch.
„Was meinen Sie, wie viel sogenannte Heteros es gibt, die bi sind? Die wollen halt auch mal einen Schwanz im Mund haben. Und den kriegen sie hier. Ist ja nicht verboten, oder? Danach kehren sie wieder hübsch zu ihrer Mami zurück und spielen mit den Kindern! So einfach ist das!“
Ayse war schockiert. Sie musste sich eingestehen, dass sie vielleicht doch spießig war. Was sie nicht sein wollte. Was sprach wirklich dagegen, wenn sich jemand die sexuelle Erfüllung holte? Nur, weil es unter Männern geschah? Das konnte nicht das Argument sein. Auch sie hatte schon so manchen Mann mit nach Hause genommen. Und nicht, um ihn anschließend zu heiraten.
Der junge Mann sah ihr ihren Zwiespalt an. „Ich glaube, was Sie stört, ist die Anonymität, in der das hier abläuft. Aber erstens gibt es in unserer Gesellschaft kaum Möglichkeiten, seine Neigungen woanders auszuleben.“
„Und zweitens?“
„Zweitens ist die Anonymität hier für viele eine Hilfe. Sie brauchen sich nicht zu ihren Vorlieben zu bekennen. Und dann ist da noch der Kick!“
„Welcher Kick?“
„Na, dass man nicht weiß, mit wem man es gerade macht. Und der andere auch nicht. Das ist für viele noch extra aufregend.“
Ayse nutzte die Gunst der Stunde. Ihr Gesprächspartner war gerade in die Stimmung gekommen, um ihn hereinzulegen. „Und der ‚Leutnant‘? War der oft hier?“
„Der Leutnant?“ Der junge Mann errötete. Ihm war klar, dass Ayse das nicht verborgen geblieben sein konnte. „Na, gut. Ich sag Ihnen was: Der Leutnant war ein feiner Kerl. Keiner von den Schweinen, die dich abschleppen und dann auf den Bock legen. Er war ein ganz Lieber. Aber eine feste Beziehung wollte er nie.“
„Und war er hier?“
„Er war hier und auch in den anderen Kinos. Er brauchte immer viel ... Entlastung.“
„Kennen Sie jemanden, den er in letzter Zeit mit nach Hause genommen hatte?“
Der junge Mann überlegte. „Nein, ich meine, er hat nie jemanden mit nach Hause genommen. Vielleicht war er verheiratet. Ich glaube, sein Zuhause war tabu.“
Ayse nickte. „Einen muss er aber mitgenommen haben. Sonst wäre er nicht tot.“
„Ja, wirklich schlimm!“ Der junge Mann senkte andächtig den Kopf.
Ayse sah auf die Uhr. Die nächste Besprechung würde in einer halben Stunde beginnen. Sie überlegte, ob sie die Personalien ihres Zeugen benötigte, hielt es aber nicht für erforderlich. Zum Abschied gab sie ihm die Hand und sah sich noch einmal um. Erst jetzt fielen ihr die Regale mit den Magazinen und den in Kunststoff eingeschweißten Dildos auf. Nicht meine Welt, dachte sie.
Wieder auf der Straße, atmete sie tief durch. Sie hatte etwas von einer Wirklichkeit mitbekommen, die ihr bislang nicht zugänglich war. „Im Sex gibt es nichts, was es nicht gibt“ erinnerte sie sich an eine Aussage auf einem Seminar über Sexualstraftäter. Der Kollege, der das sagte, referierte damals über ein schreckliches Phänomen, das zuerst in den USA aufgetaucht war. Dort zahlte ein betuchtes Publikum bis zu tausend Dollar Eintritt, um der gefilmten Vergewaltigung und Ermordung einer Frau beiwohnen zu dürfen. Wohlgemerkt einer echten Vergewaltigung und Ermordung. Hierzu entführten bestialische Gangster vornehmlich mexikanische Frauen, die versuchten, illegal in die USA zu gelangen. Sie wurden nicht vermisst, ihr Verschwinden nicht bemerkt. Irgendwo in den weitläufigen Wüsten der USA wurden sie dann wahrscheinlich vergraben. Die Zuschauer waren nicht weniger schrecklich als die Mörder, doch wenn man sie bei einer der Vorstellungen erwischte, und das war die absolute Ausnahme, da diese Kreise im Verborgenen
agierten, redeten sie sich immer damit heraus, dass alles nur gestellt war. Hollywood eben. Das
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