Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
unter Menschen zu kommen. Ansonsten lebte er zurückgezogen. Nach dem Tod seines Vaters bewohnte er das Haus in der Linienstraße allein mit seiner alten Mutter und einem stark ergrauten Schäferhund, der kaum noch laufen konnte. Heinrich war ein hochbegabtes Sprachgenie, aber leider verstand er nur wenig davon, etwas daraus zu machen. Oder er hatte gar keine Lust dazu. Für kurze Zeit hatte er einen Lehrauftrag in Chinesisch an der Universität gehabt. Aber niemand konnte sich wirklich vorstellen, wie dieser zwar immer freundliche, aber sehr zurückhaltende Mensch vor Studenten dozieren sollte.
Mechthild lächelte. Schade, dass sie ihn jetzt nicht anrufen konnte. Sie hätte gern mal wieder etwas von ihm gehört. Sie wählte die Nummer des Übersetzungsbüros Lopez Ebri und bestellte einen Dolmetscher für Französisch. Während sie auf ihn wartete, ging sie noch einmal ihre an die Ermittlungsgruppe erteilten Aufträge durch. Ihr wurde klar, dass Roder mit der Auswertung der Karten eine unangenehme und wenig erfolgversprechende Aufgabe erhalten hatte. Sicher war sie auch unter der Würde eines stellvertretenden Leiters einer Mordkommission, aber dennoch barg auch sie die Möglichkeit, dichter an den Täter heranzukommen. Wenn er am Ende wirklich in der Umgebung Dötlingens leben würde, dann hätte sich Roder für einen Zugriff auf jeden Fall schon den Vorteil von Ortskenntnissen verschafft. Trotzdem konnte Mechthild den Gedanken nicht ganz verhehlen, dass sie Roder mit dieser Aufgabe auch diszipliniert hatte. Oder zumindest wollte.
Es klopfte an der Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat ein südländisch wirkender Mann ein. Mechthild schätzte ihn auf etwa vierzig. Er war klein, hatte einen Bauchansatz und schwarze Locken, die er halblang trug. Sein Gesicht wirkte voll und hatte sympathische Züge.
„Murat Hamadi!“ stellte er sich lächelnd vor und reichte Mechthild freundlich die Hand. Er blieb stehen, bis sie ihm einen Stuhl zuwies. „Ich bin Ihr vereidigter Übersetzer!“ Er schob ihr eine Visitenkarte des Büros Lopez Ebri über den Schreibtisch zu.
„Sehr angenehm! Aus welchem Land kommen Sie?“
„Ich habe einen algerischen Pass!“ erwiderte Herr Hamadi und nahm dabei eine für Mechthild unerklärliche Pose, die Stolz und Abscheu gleichermaßen ausdrückte, ein.
„Aha, dann sind Sie Araber!“ meinte Mechthild zu verstehen. Für einen Augenblick spürte sie einen Stich im Herzen. Sie dachte unwillkürlich an Anna und Sammy.
„Kein Araber. Ich bin Berber“, stellte Herr Hamadi mit erhobener Stimme klar. „Wir haben schon immer im heutigen Algerien gelebt. Bis die Araber kamen und uns unterdrückten. So wie es die Franzosen dann auch taten.“
Mechthild war ungewollt in ein Fettnäpfchen getreten. „Ich verstehe!“ antwortete sie schnell, ohne ihren Gedanken zu verbalisieren, dass ihr Gegenüber seinen Beruf als Dolmetscher der französischen Besatzung verdankte. Aber das war wahrscheinlich auch etwas zu weit hergeholt. Eilig wechselte sie das Thema, erklärte Herrn Hamadi ihr Anliegen und bat darum, Kontakt mit dem Büro der Providerfirma in der senegalischen Hauptstadt Dakar aufzunehmen. Sie reichte ihm den Telephonhörer, schaltete den Lautsprecher zum Mithören ein und wählte die Telephonnummer von smart-web.
Es klingelte scheinbar eine Ewigkeit, bis sich eine freundliche Frauenstimme mit „Bonjour“ und einigen weiteren Sätzen meldete. Mechthilds Französischkenntnisse reichten nicht aus, um zu verstehen, was sie gesagt hatte, aber es hörte sich so an wie „Schön, dass Sie uns angerufen haben. Was kann ich für Sie tun?“ Das übliche, derzeit überall zu hörende Telephonistinnen- und Call-Center-Geschwafel.
Herr Hamadi machte seine Sache gut. Er erklärte, dass er als Dolmetscher für die Deutsche Polizei tätig sei und in einer Ermittlungsangelegenheit die Hilfe und Unterstützung von smart-web benötige.
Die freundliche Telephonistin verband ihn mit dem Geschäftsführer, Herrn Lamin Diopi.
„Ah, die alte Heimat braucht meine Hilfe!“ schallte es in einwandfreiem Deutsch begleitet von einem Lachen aus dem Lautsprecher des Telephons. errn H
„Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?“
Mechthild winkte mit einem Handzeichen den Hörer von Herrn Hamadi zu sich und schaltete den Lautsprecher aus. „Herr Diopi, hier spricht Mechthild Kayser. Ich leite die Mordkommission in Bremen und bitte Sie, mir mit einigen Auskünften gegebenenfalls zu helfen. Ist das
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