Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
Während vorher die Frauen den Heroinbedarf ihrer ebenfalls süchtigen Freunde und Männer durch den Verkauf ihrer Körper mit befriedigen konnten, kamen jetzt die Männer in die Versorgerrolle und begingen Diebstähle, Einbrüche und Überfälle. Die Prostitution hatte keinen größeren Schaden am Eigentum der Bevölkerung angerichtet. Ihre Unterbindung führte aber zu einer für alle mehr belastenden Art der Kriminalität. Abgesehen von dem nicht akzeptablen Zustand, dass diese armen Frauen aus ihrer Not auf den Straßenstrich gingen und von vielen Freiern wie Freiwild behandelt wurden. Sie trauten sich nicht, brutale oder perverse Freier anzuzeigen, da sie damit gleichsam ihre eigene Straftat zugeben mussten, die rigoros von Polizei und Justiz verfolgt wurde. Ein wahres Dilemma, das nur durch ein System kontrollierter Drogenabgabe gemildert werden konnte. Aber der derzeitige Justiz- und Sozialsenator wehrte sich aus prinzipiellen juristischen Gründen gegen jede Form irgendeiner möglichen Legalisierung des Drogenkonsums. Die Befürchtung war zu groß, dass ein solcher Bremer Alleingang die Junkies der ganzen Republik anziehen könnte.
Aber sie kamen auch so. Brutale Übergriffe auf Heroinabhängige von Polizisten in anderen Städten, großzügig von oben gedeckt, trieb zeitweise viele Abhängige ins liberalere Bremen. Bis auch hier wieder mal eine Gegenbewegung entstand. Die herrschende Politik bot keine wirkliche Lösung der Probleme an, sondern organisierte nur deren Verdrängung. Und damit kam sie bei der Bevölkerung, die direkt betroffen war, häufig gut an. Je härter, desto besser. Die Menschen, die sich hinter den ausgemergelten Gesichtern und in den von Krankheiten gequälten Körpern befanden, wurden als solche nicht mehr wahrgenommen. Sie störten nur.
Mechthild Kayser hatte es endlich geschafft, ihren Kater loszuwerden. Jetzt trat die unvermeidbare Müdigkeit an seine Stelle, die einem klarmachte, dass man betrunken keinen erholsamen Schlaf haben konnte. Sie radelte zurück nach Hause und beschloss, beim Nachmittagsprogramm des Fernsehens gemütlich auf dem Sofa einschlafen zu wollen.
Es war acht Uhr morgens, als Mechthild am darauffolgenden Tag mit dem Fahrrad das Polizeihaus in der Innenstadt erreicht hatte und nun durch das breite Portal mit den Steinstufen aus weserbergländischen Sandstein ging, um in die erste Etage zu gelangen, wo sich die Büros der Mordkommission befanden.
Das alte Gebäude, das um 1900 im Stil deutscher Renaissance und des Frühbarock errichtet wurde, wirkte mit seinen Fronttürmen sehr martialisch und wehrhaft. Was damals den Anforderungen an ein modernes Verwaltungsgebäude gerecht wurde, entsprach heute schon seit langem nicht mehr der einer zeitgemäßen Polizeiorganisation erfordernden Baulichkeit. Mehrfach hatte man im Kern des Gebäudes mit Umbaumaßnahmen versucht, die Büros so umzugestalten, dass vernetzte Abläufe zwischen den hier Dienst versehenden Ermittlungsgruppen zu organisieren waren. Das alte Gemäuer hatte aber in der Statik begründete Grenzen, die nicht zu verschieben waren. Darum hatte vor kurzem eine Planungsgruppe damit begonnen, nach einem geeigneten Gebäude Ausschau zu halten. Und wie der Polizeipräsident kürzlich verlauten ließ, gab es wohl Anzeichen aus dem Haus des Innensenators dafür, dass die gesamte Kriminalpolizei in eine ehemalige Bundeswehrkaserne im Stadtteil Vahr umziehen könnte. Nach Ende des Kalten Krieges stand dort ein mittlerweile geräumtes Kasernengebäude zur Verfügung. Ein relativ moderner Komplex, der räumlich für eine stabsstellengelenkte Führung ausgerichtet war und über entsprechende Räumlichkeiten für Einsatzplanungen und die Einrichtung von anlassbezogenen Ermittlungszentren verfügte.
Viele Kriminalbeamte waren gegen einen Umzug, da sie die fehlende Zentralität der Kaserne bemängelten. Aber in Wahrheit ging es einigen von ihnen nur darum, die guten Einkaufsmöglichkeiten in der Innenstadt nicht zu verlieren. Mechthild Kayser war eindeutig für den Umzug in ein moderneres Gebäude. Gleichgültig, wo es lag. Mord und Totschlag konnte sie an jedem Ort bearbeiten. Sie stellte in ihrem Büro den Computer an und ging auf ihre polizeiinterne E-Mail-Seite. Bemerkenswerte Fälle würden in ihrem Zuständigkeitsbereich nicht anstehen. Dann hätte man sie schon am Wochenende alarmiert.
Durch das interne E-Mailsystem wurde die Informationsgeschwindigkeit erheblich erhöht, und jeder bekam seine Aufgaben zeitnaher
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