Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
Er schwor sich, nie wieder eine Ermittlung für sein Privatvergnügen schleifen zu lassen. Bis zum Mittag würde er alles runtergeschrieben haben und dann der Runde berichten. Im Grunde war er glücklich, wieder im Team und unter Anleitung und Verantwortung seiner Chefin zu arbeiten. Die Freiheit des selbständigen Arbeitens war noch nicht das Richtige für ihn. Zu sehr lief er Gefahr, seine privaten Interessen vor seine beruflichen Aufgaben zu stellen.
Mechthild schnappte sich ihr Telephon und vereinbarte einen Termin beim Polizeipräsidenten. Dann wusste sie nicht mehr, was sie sonst noch tun sollte. Sie fühlte sich aus dem Fluss ihrer Ermittlungen herausgerissen. Kopfschmerzen kündigten sich an, und die Verspannung ihrer Rückenmuskulatur wurde stärker. Sie ließ den Kopf sinken und schloss die Augen. Bin ich überfordert, ausgebrannt? Habe ich mich zu wenig um mich gekümmert? Sie dachte an Anna, und wieder begann sie zu weinen.
„Nein, nein, nein!“ rief sie laut, machte sich gerade und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. Sie durfte sich nicht gehenlassen. Der brennende Schmerz ihrer Handfläche holte sie zurück. Jetzt war sie wieder da. Sie blickte über ihren Schreibtisch und zog die Akte mit der Aufschrift „Mord zum Nachteil Mathilde Burkhardt“ zu sich. Sie musste alles noch einmal studieren. Sie wollte wieder reinkommen in ihren Fall. Als sie die Akte aufblätterte, schlugen ihr zuerst die hässlichen Bilder aus der Gerichtsmedizin entgegen.
Benjamin hatte sich geduscht und angezogen. An seinen gestrigen Wutausbruch verlor er keine Gedanken. Das Rauschen in seinem verkaterten Kopf störte ihn nicht. Er empfand es wohltuend, da es ihn vor Ablenkungen von seiner Aufgabe schützte. Er brauchte nur an sein Ziel zu denken und seinen Befreiungsweg weiter verfolgen. Dann würde alles wie von selbst laufen.
Er schaltete seinen PC ein und überprüfte die aufgezeichneten Bilder seiner Webcam. Auf dem Bild sah er eine verschlossene Zimmertür. Alles war in Ordnung. Er rief die gespeicherten Bildaufzeichnungen ab und ging in großen Zeitsprüngen durch das Videomaterial. Unverändert war immer nur diese Tür zu sehen. Tagsüber leuchtete ein kleiner Streifen Licht unter ihr hindurch. Nachts war sie trotz der hochauflösenden Kamera nur schemenhaft zu erkennen. Alles war in Ordnung.
Als er die Treppe nach unten ging, sah er die Spuren seines gestrigen Wutanfalls. Er begann die Möbel wieder ordentlich hinzustellen und sammelte die Reste des zerschlagenen Stuhls und anderer in Mitleidenschaft gezogener Gegenstände ein. Ordnung wollte er wiederherstellen. Das war wichtig für ihn. Das war wichtig für seinen Plan. Er fegte und wischte den Boden, arrangierte penibel alles an seinen angestammten Platz, und am Ende war nichts mehr von den Geschehnissen des gestrigen Tages zu entdecken.
Zufrieden setzte er sich an den Küchentisch, und während er mit einem großen Messer Stücke von einer luftgetrockneten Mettwurst abschnitt und sich einverleibte, studierte er aufmerksam einen Werbezettel, den er vor ein paar Tagen in seinem Briefkasten an der Straße gefunden hatte.
„Tanztee im Ballsaal“ stand in großen Lettern als Überschrift auf dem bunten Papier. Ein Landgasthof irgendwo in der Umgebung warb für eine Veranstaltung in seinen neugestalteten Räumlichkeiten. Und zwar für heute. Das war ein Zeichen. Benjamin sah schon den mit Menschen angefüllten Saal. Hauptsächlich Frauen zwischen fünfzig und sechzig, die, ihre Tortenstücke verzehrend, darauf warteten, mit einem der wenigen vorhandenen Männern ins Gespräch zu kommen. Auf der Bühne ein ergrauter Alleinunterhalter an seinem Keyboard, der alte Schlager spielte und das Publikum zum Tanzen bewegte.
Er kramte einen Atlas aus einer Küchenschublade und suchte die Ortschaft. Sie war etwa dreißig Kilometer entfernt. Ein guter Abstand für sein Vorhaben. Auf der Einladung war vermerkt, dass sogar ein Shuttlebus vom Bremer Roland-Center zum Ausflugslokal gestellt wurde. Das war ja noch besser. So würden viele Frauen anwesend sein, die sich gegenseitig nicht kannten. Anonymität war für seine Pläne ausgesprochen hilfreich. Er musste noch einige Vorbereitungen treffen. Für alle Fälle. Vielleicht bot sich ihm ja gleich die passende Gelegenheit. Er war voller Tatendrang und Vorfreude. Benjamin verließ das Haus und begab sich in seinen Anbau.
Mechthild Kaysers Besprechung mit dem Polizeipräsidenten war nur von kurzer Dauer. Was
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