Für immer tot
meinen Sie das?
– Mir ist klar, wie absurd Ihnen das alles vorkommt, aber wir machen uns große Sorgen, wir möchten der kleinsten Spur nachgehen, Max möchte sichergehen, dass er alles getan hat, um seiner Stiefmutter zu helfen. Das verstehen Sie doch, oder?
– Selbstverständlich verstehe ich das, ich bedauere, wie gesagt, sehr, was passiert ist.
– Vielleicht können Sie ja noch ein klein wenig Zeit erübrigen und so freundlich sein, uns Ihr Haus zu zeigen. Eine Führung würde auch mich brennend interessieren, Sie wissen ja: so oft kommt man nicht ins Gefängnis.
Blum lächelt.
Er wirft Baroni einen verschwörerischen Blick zu und willigt ein. Stolz führt er sie durch sein Haus, zeigt ihnen meterdicke Mauern, moderne Zellenblöcke, die Werkstätten, die Überwachungsräume und alles andere. Stolz wandelt Blum vor ihnen her und betont alle fünf Minuten, dass sein Gefängnis das sicherste weit und breit ist, dass es sich um ein österreichisches Vorzeigegefängnis für Langzeithäftlinge handelt. Perfekter Strafvollzug.
Während Blum erklärt, antwortet, ausführt, suchen Max und Baroni nach Lücken, nach Möglichkeiten, die perfekte Ordnung des Direktors zu durchbrechen, Schließzeiten zu umgehen, Wachübergaben, sie suchen nach Türen in den Mauern, die nicht da sind, nach einem Tunnel, nach irgendetwas, das Tilda recht gibt, das ihnen sagt, dass sie keinen Unschuldigen beinahe zu Tode gequält haben. Wagner. Immer wieder er im Kopf von Max, sein Gesicht, seine Augen, wie er ihn ansah, als er aus dem Raum ging. Wie er um sein Leben bettelte unter der Plastikfolie, wie echt es klang, seine Angst. Max geht durch die Gänge und beginnt zu zweifeln. Überall Gitter, eingesperrte Menschen. Vielleicht hat sie sich doch geirrt. Tilda.
Wie Baroni Fragen stellt, wie Blum sie beantwortet, eine nach der anderen. Wie sinnlos sich Max plötzlich vorkommt, wie fehl am Platz, wie sehr er sich zurückwünscht zu Hanni, in das schäbige Bett, an ihre Haut. Wie Max Baroni am Arm zieht und ihn mit traurigen Augen bittet zu gehen, dem Direktor für seine Mühe zu danken, von diesem Ort zu verschwinden. Wie sie zurück zum Eingang gebracht werden, wie der Direktor sich freundlich von ihnen verabschiedet und ihnen Glück wünscht. Wie sie ihre Telefone und Schlüssel aus dem Garderobenschrank nehmen und hinaus auf die Straße treten.
Wie sie wortlos zurück zum Gasthaus gehen.
Neun
Wie schön sie ist.
Wie sie nackt da liegt. Wie sehr er sie liebt. Wenn er ein Vogel ist, hat sie ihn eingefangen, ohne seine Flügel zu stutzen, sie lässt ihn fliegen, wartet auf ihn in ihrem Nest. Wie sie in der weißen Bettwäsche liegt, wie friedlich sie aussieht, wie sie ihm wieder Mut macht, ohne ein Wort zu sagen. Wie sehr er sie jetzt braucht. Hanni.
Er ist nach oben zu ihr, er wollte sich zu ihr legen, bei ihr sein, sich verstecken unter ihrer Haut. Er hat Baroni um eine Auszeit gebeten, um zwei Stunden mit Hanni, zwei Stunden zum Nachdenken. Sie würden danach entscheiden, was weiter passieren sollte. Was geschehen ist, kann er sich nicht verzeihen, was er getan hat, wozu er bereit gewesen ist.
Max steht vor ihr. Sie ist sein Trost, sie macht alles wieder gut, Hanni lässt ihn vergessen, was draußen vor sich geht, was mit Tilda passiert. Kurz, einen Augenblick lang abtauchen mit ihr, die Augen zumachen, nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Nur sie und er. Niemand sonst. Nur sie beide, still, friedlich.
Wie er sich zu ihr legt, sie nicht wecken will, wie er sich einfach nur hinlegt und beginnt, sie zu streicheln, genauso wie sie es getan hat am Morgen, lautlos, liebevoll. Wie er sich an sie schmiegt. Wie er sie spürt, ihre kühle Haut. Wie er plötzlich spürt, dass sich nur sein Brustkorb hebt, dass nur er atmet, dass nichts Warmes mehr aus ihrem Körper kommt. Dass nichts mehr sich bewegt. Keine Zehe, kein Finger, kein Arm, kein Auge mehr, das aufgeht.
Max bewegt sich nicht. Seine Finger stehen still, er spürt sie. Er weiß, dass sie nicht mehr da ist, dass sie weg ist für immer, dass Hanni tot neben ihm liegt. Nackt und schön in dem fremden Bett. Hanni Polzer, weit von zuhause, weit von ihrem Würstelstand. Weit weg von Max.
Er liegt neben ihr. Er kann sich nicht bewegen, nicht aufspringen, von ihr weggehen. Er kann nicht. Nicht telefonieren, nichts. Nur neben ihr liegen, neben ihrem toten Mund. In dem hässlichen Zimmer, auf der durchgelegenen Matratze, auf den weißen Laken.
Hanni und Max.
Wie er ihre Hand
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